Indische Naechte
betrinken.«
David hob eine Hand, um sein Gähnen zu verstecken. »Macht nichts. Ich habe einfach einen leichten Schlaf.«
Nicht so leicht wie Ian, der sich nicht erinnern konnte, wann er zuletzt eine normale Nacht verbracht hatte. Mehr zu sich selbst als zu seinem Bruder meinte er: »Ich kann mich glücklich schätzen. Ich wurde wundersamerweise vor dem Tod gerettet und habe einen Titel und ein annehmbares Vermögen geerbt.« Seine Stimme brach. »Und wieso fühle ich mich dann so elend?«
David musterte ihn mit ernsten blauen Augen. »Da du gerade die Frau verloren hast, die du liebst, hast du, denke ich, alles Recht der Welt, dich elend zu fühlen.«
Ian ließ den Kopf gegen die Rückenlehne fallen und dachte über die Worte seines Bruders nach. Liebte er Georgina? Zwei Jahre zuvor hatte er das gewiß geglaubt. Er und Georgina hatten wunderbar zusammengepaßt: Sie hatte ihn zum Lachen gebracht, und er hatte sie begehrt. Es hatte ihm auch gefallen, sie den ganzen anderen Verehrern wegzuschnappen. Sie war nicht besonders ernsthaft, aber das war er schließlich damals auch nicht. Vielleicht war es Liebe gewesen — nun jedoch wußte er nicht, was er für sie empfand. Da war nur das zehrende Gefühl des Verlustes.
Er nahm wieder einen großen Schluck Brandy. »Georgina hat klug gehandelt, Gerry zu heiraten«, sagte er leidenschaftslos. »Der Ian Cameron, den sie heiraten wollte, ist in Buchara gestorben.«
Wenn sie noch ledig gewesen wäre, hätte sie sich vielleicht moralisch gezwungen gefühlt, ihn doch noch zu heiraten, denn die Tochter eines Colonels kannte ihre Pflicht. Doch natürlich hätte er das bei seiner sich endlich eingestandenen Unfähigkeit nicht tun können. Er trank sein erstes Glas leer, beugte sich vor und schenkte sich ein zweites ein, wobei er einiges verschüttete, da es schwer war, mit nur einem Auge Entfernungen einzuschätzen.
David kam herüber und hob die Karaffe. »Stört es dich, wenn ich mich mit dir betrinke?«
Ians Finger krampften sich um sein Glas. »Eigentlich ja. Ich wäre lieber allein.«
Davids Miene wurde ausdruckslos. »Also gut.« Er wandte sich zum Gehen, machte aber noch einmal kehrt. »Ich weiß, daß du leidest, Ian, denn du strahlst Schmerz aus wie ein Ofen die Wärme. Aber es liegt in der Natur der Dinge, daß du dich irgendwann besser fühlen wirst — es gibt andere Frauen auf der Welt, und der Status des Laird of Falkirk wird dir sicher gefallen. Bis dahin...« Er suchte verzweifelt nach einem ungefährlichen Ausdruck für seine Furcht. »Tu nichts Dummes, ja?«
Erschüttert, daß David gespürt hatte, was er sich nicht einmal selbst eingestehen wollte, antwortete Ian: »Mach dir keine Sorgen. Ich bin ein Feigling, aber kein so großer.« Seine Lippen verzogen sich zu der Parodie eines Lächelns. »Im übrigen habe ich nicht das Recht, wegzuwerfen, wofür Juliet und Ross ihr Leben riskiert haben.«
David musterte eine Weile sein Gesicht, dann nickte er zufrieden, kehrte in sein Zimmer zurück und ließ Ian in der Einsamkeit, nach der er sich sehnte und die er gleichzeitig fürchtete, zurück. Müde schob sich Ian die Karaffe in seine Armbeuge, nahm sein Glas und die Lampe und ging in sein Zimmer. Dort machte er sich mit ernsthafter Präzision daran, sich so schnell wie möglich in Bewußtlosigkeit zu versetzen.
Doch bevor er sein Ziel erreichte, schwappte eine Woge heftiger Übelkeit durch seinen Körper. Auf der Suche nach frischer Luft torkelte er hinaus und schaffte es gerade noch über die Veranda in den
Garten, bis er in Krämpfen den Alkohol wieder erbrach. Mit pochenden Schläfen und revoltierenden Eingeweiden fiel er vor einem Oleanderstrauch auf die Knie und übergab sich, bis sein Magen leer war.
Zu schwach, um aufzustehen, vergrub er sein schweißbedecktes Gesicht in den Händen, zitterte und fror trotz der Wärme der Nacht. Er hatte nicht erwartet, daß der Brandy ihm auf lange Sicht helfen würde, aber er hatte doch auf ein paar Stunden Erlösung gehofft. Doch offenbar sollte sogar dies nicht sein. Sein ihn erstickendes Elend war das schlimmste, was er je durchlebt hatte, und die Qual seiner Seele schmerzte mehr, als sein Körper es je tun konnte.
Als sein rasender Herzschlag sich langsam wieder normalisierte, stellte er sich einer letzten Wahrheit: So konnte es nicht weitergehen. Er hatte David gesagt, er würde keine Dummheiten machen, und er meinte es auch so. Er hatte seiner Familie genug Kummer bereitet.
Aber die Welt war ein
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