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Indische Naechte

Titel: Indische Naechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Jo Putney
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Hund. Von mir erfährst du nichts.«
    Ian entsicherte den Revolver. Er würde den Mann zum Reden bringen, wenn nicht durch Überzeugung, dann durch andere Mittel. Doch da meldete sich Laura zu Wort. »Ian, trägt er nicht die Hosen eines Company-Soldaten?«
    Ian musterte den Pathanen und entdeckte unter seinem zerfetzten Mantel und dem blutgetränkten Hemd tatsächlich die Hosen eines Sepoys. Scharf fragte er: »Dienst du dem Sirkar?«
    »Ja«, gab der Mann düster zurück. »Ich bin ein Havildar, und ich bin stolz darauf.«
    Ein Havildar entsprach etwa dem englischen Rang eines Sergeants. Mit leichter Erregung sagte Ian auf englisch: »Laura, bring dem Burschen Wasser und etwas zu essen.« Dann ging er zu Urdu über. »Gehörst du zu denen, die sich aus Kabul zurückgezogen haben?«
    Der Mann erschauderte kurz, faßte sich aber wieder. Er spuckte aus. »Du kriegst keine Informationen von mir, du dreckiges Schwein«, wiederholte er. »Sag deinem Herrn, daß Gulab Khan als Mann gestorben ist — treu bis in den Tod.«
    Ian riß sich den Turban vom Kopf, so daß sein rotbraunes Haar sichtbar wurde. »Dein Herr und meiner sind dieselben, Havildar Gulab Khan. Ich bin ein Offizier des 46. Eingeborenen-Infanterieregiments.«
    Gulab Khan starrte ihn einen Moment an, und sein Blick wanderte von Ians Haar zu den blaugrauen Augen und zurück. Dann hob er wortlos die bebende Hand zum militärischen Gruß.
    Laura brachte den Wasserschlauch und ließ ein bißchen Wasser in den Mund des Pathanen tröpfeln, dann gab sie ihm die beiden Chapatis, die übrig waren. Der Mann schlang sie hinunter, und Laura fragte ruhig auf englisch: »Meinst du, er würde etwas Brandy nehmen? Es könnte ihn wieder ein bißchen aufrichten.«
    Ian überlegte einen Moment. Für Moslems war Alkohol verboten, und die meisten rührten ihn nicht an, aber es gab Ausnahmen. Dieser Mann konnte bestimmt etwas gebrauchen; nun, da er Verbündete gefunden hatte, war er kurz vor dem Zusammenbruch. »Einen Versuch ist es wert. Bring ihn her.«
    Sie kippte etwas Brandy in einen Becher. Ian nahm ihn und hielt ihn Gulab Khan vor die Augen. »Ich muß mit dir über das reden, was auf der anderen Seite der Berge geschieht, Havildar. Dich um dies zu bitten, ist eine schreckliche Sünde, und ich werde akzeptieren, wenn du ablehnst. Aber willst du um des Sirkar willen ein einziges Mal in Erwägung ziehen, Alkohol zu dir zu nehmen, um deine Energien wiederzuerlangen?«
    Gulab Khan zögerte, hin- und hergerissen zwischen Moral und Notwendigkeit. Doch dann griff er nach dem Becher und trank den Brandy in zwei Schlucken, was einen sichtbaren Effekt hatte. »Was willst du wissen, Huzar?«
    »Erzähl mir kurz, was mit der Armee geschehen ist.«
    Während Laura seine Wunden reinigte und neu verband, fügte Gulab Khan der Geschichte, die Ian schon in Manpur erfahren hatte, die Einzelheiten hinzu. Der Havildar wußte nicht genau, wann er verwundet worden war — vielleicht war es vor zehn Tagen gewesen. Es war ihm gelungen, die größte Strecke des Rückzugs eine kleine Gruppe Männer zusammenzuhalten, doch ein paar Meilen vor Jallalabad waren sie umzingelt und von Angreifern in fünffacher Überzahl niedergemetzelt worden.
    Gulab Khan war verwundet worden, und die Leiche eines anderen fiel auf ihn. Die Afghanen hatten soviel Kriegsbeute bei sich, daß sie nur die wertvollen Waffen nahmen und darauf verzichteten, die Toten zu durchsuchen. So entging ihnen, daß es einen Überlebenden gegeben hatte.
    Schließlich fanden sie, sie könnten eine Pause machen, und zündeten ein Feuer neben den Sepoy-Leichen an. Während sie ihre Mahlzeit bereiteten und aßen, redeten sie fröhlich über den Sieg und über das, was sie als nächstes vorhatten. Einer der Männer war ein Stammesoberhaupt und erzählte den Reitern, sie würden bald über den Shpola-Paß nach Indien eindringen. Dort würden sie sich mit anderen Armeen zusammentun und die Briten so leicht ins Meer treiben, wie sie sie aus Kabul verjagt hatten.
    Als er das hörte, wurde Gulab Khan klar, daß er sich den Tod noch nicht gönnen konnte, auch wenn er halb verhungert und erfroren und verwundet war. Als die Afghanen fort waren, stand er auf, nahm sich Mantel und Hemd von einem toten Kameraden, damit er die auffällige rote Kleidung, die er trug, verdecken konnte. Dann begann er vorwärtszuhinken, um General Sale Sahib in Jallalabad zu berichten, was er wußte.
    Nach dem schrecklichen Marsch bis Jallalabad kam der vernichtende Schlag.

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