Indische Naechte
und nun mußt du schon wie ein Bergbandit leben. Hättest du nicht vielleicht lieber Paris gehabt?«
Sie lachte. »Wo immer du bist, will ich auch sein, Duschenka.«
Er legte sein Kinn auf ihren Scheitel. »Obwohl ich ja vorgezogen hätte, daß du sicher in Bombay wärst, muß ich zugeben, daß ich diesen Ausflug auch ziemlich genieße. Ich war erst ungefähr fünf Jahre alt, als meine Schwester Juliet mir beibrachte, niemals die Kraft und die Entschlossenheit einer Frau zu unterschätzen. Dennoch bin ich immer wieder überrascht von deinem Mut und deinem genügsamen Wesen. Pjotr Andrejewitsch wäre stolz auf dich.« Er küßte ihre Schläfe. »Und ich bin es auch.«
Laura hatte den Eindruck, als würden seine Worte die Dunkelheit mehr erhellen als das Feuer. Mochte es auch keine Zeit zu lieben sein, so war die Liebe doch präsent, denn jeden Tag empfand sie mehr für Ian, auch wenn er es nicht so erwidern konnte, wie sie es sich gewünscht hätte. Vielleicht hatte Srinivasa recht: Es gab keine Zufälle, und sie und Ian waren geboren worden, um zusammenzusein. Es war, als wäre er die andere Hälfte ihrer Seele, und in plötzlichem Optimismus sah sie ihr Leben in den nächsten Jahrzehnten noch immer mit dem seinen verbunden.
Und das Schaudern, das sie überkam, mußte von der Kälte herrühren.
Kapitel 32
Der Krieger wußte nicht, wie lange er schon durch die Berge gestolpert war, denn die meiste Zeit war er nicht ganz bei Bewußtsein gewesen. In gewisser Hinsicht war das Delirium gut, denn er spürte dann wenigstens die Schmerzen nicht. Doch nun kehrte er langsam wieder in die Realität zurück, und er stellte fest, daß er den größten Teil des Shpola-Passes bereits geschafft hatte. Allah mußte seine Hand über ihn gehalten haben, wenn er auf diesem trügerischen Pfad entlanggelaufen war, ohne in den Abgrund zu stürzen. Wäre es Blasphemie, darauf zu hoffen, daß Allah ihm auch etwas zu essen schickte? Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal etwas zu sich genommen hatte, aber es war einige Tage her. Bald würde er keine Kraft mehr haben, um* weiterzulaufen.
Doch er mußte weiter, denn zuviel hing von ihm ab. Schwankend blieb er stehen und lehnte sich gegen den schroffen Felsen. Der Paß war ein geisterhafter Ort, und der Wind jammerte unheimlich — es klang wie die Stimmen verdammter Menschen. Nicht weit vom östlichen Ende des Passes lag sein Zuhause, das Wärme und Nahrung bedeutete, und Menschen, die seine Wunden verbinden konnten. Doch die verbleibende Strecke hätte auch unendlich sein können, denn seine Chancen, sie zurückzulegen, waren nicht die besten.
Dann hörte er das Klappern von Hufen durch die Schlucht hallen. Zuerst durchströmte ihn reine Panik und machte seinen Kopf endgültig klar. Sie hatten ihn eingeholt, und er konnte sie nicht mehr abwehren. Aber nein, das Geräusch kam von vorne, nicht von hinten. Er lauschte angestrengt. Die steinernen Mau-ern verzerrten die Geräusche und machten es schwer, die Anzahl der Pferde zu schätzen, aber dann entschied er, daß es nur ein einzelner Reiter sein konnte. Allah hatte ihn also doch noch nicht aufgegeben, denn bald würde er Nahrung und Wasser und ein Transportmittel haben.
Daß der herannahende Reiter ein Freund sein könnte, kam ihm gar nicht in den Sinn, nachdem sich in den letzten Tagen jede menschliche Hand gegen ihn erhoben hatte. Er ging vorsichtig ein Stück zurück, bis er an eine etwas breitere Stelle kam, an der eine schroffe Felsnase etwa auf Mannshöhe aus dem Berg ragte. Langsam und unter stechenden Schmerzen in seiner Schulter kroch er auf den Felsen hinauf und duckte sich, so daß er nicht mehr zu sehen war.
Er zog sein Messer und wartete.
Der Führer hatte nicht übertrieben, als er den Paß einen Murmeltierpfad genannt hatte. Er war nicht mehr als ein steiler, gewundener Strich, der sich durch felsige Berge zog. Manchmal war er gerade so breit, daß zwei Menschen nebeneinander reiten konnten, meistens jedoch schmaler. Das Stück, auf dem sie sich gerade vorantasteten, führte an einer Felswand entlang und fiel gefährlich steil auf der anderen Seite in die Tiefe. Weit unter ihnen sprudelte ein schäumender, reißender Bach. Und so, wie der Wind durch die Felsen jagte, konnte man nur dankbar sein, daß man nicht in einen Sturm geriet, denn es war ganz bestimmt nicht abwegig, dann von der Klippe geweht zu werden. Laura konzentrierte sich die meiste Zeit auf den Weg direkt vor ihr, obwohl ihr trittsicheres
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