Indische Naechte
werden, den Khyber-Paß zu stürmen. Selbst an der schmälsten Stelle ist er Hunderte von Yards breiter als der Paß hier.«
»Und was, wenn sie versuchen, sich durchzubeißen?«
»Dann sterbe ich vielleicht hier«, sagte er kühl. »Aber selbst wenn das geschieht, kann ich sie vielleicht lange genug aufhalten, um die Rebellion im Keim zu ersticken. Du weißt doch, der Punjab erhebt sich erst, wenn die Afghanen da sind, und Rajiv Singh wird allein auch nichts unternehmen. Ist das nicht wichtiger als mein Leben? Oder, Gott vergib mir, unser beider Leben?«
Tränen brannten in ihren Augen, als sie ihn anstarrte. Niemals zuvor hatte sie diese eiserne Kraft und Entschlossenheit an ihm gesehen, die ihn auch den Schwarzen Brunnen hatte überleben lassen. Und niemals zuvor hatte sie ihn mehr geliebt. Mit einem Kloß in der Kehle sagte sie: »Ich nehme an, das ist es wert. Also gut. Ich gehe ohne weitere Diskussion. Was denkst du, wie nah könnten die britischen Truppen sein?«
»Wenn alles reibungslos funktioniert hat — wenn Rawdon augenblicklich losmarschiert ist, als er Zafirs Nachricht erhalten hat dann müßte die Vorhut innerhalb weniger Tage hier sein.«
Laura verzichtete auf den Hinweis, daß es Wochen dauern konnte, wenn es nicht reibungslos funktioniert hatte, denn Ian wußte das selbst. Sie blickte den steilen Anstieg hinauf und dachte, daß sie wohl würde hinaufklettern können. »Ich helfe dir, die Sachen raufzutragen.«
»Gut. Dann geht es schneller. Wenn du danach sofort losreitest, kannst du vor der Dunkelheit noch aus dem Paß heraus sein.«
Laura ging zu ihrem Pferd und lud das meiste vom Proviant und einen vollen Wasserschlauch ab. Gulab Khan, der halb ohnmächtig auf Ians Pferd zusammengesunken war, wurde wieder ein bißchen munterer. »Dein Diener ist ziemlich geschwätzig, Huzar«, murmelte er.
»Sie ist mehr als mein Diener«, erwiderte Ian trocken. »Sie ist meine Frau.«
Der Pathane hob den Kopf. »Eine Frau?« fragte er ungläubig.
Ian nickte. »Ich verlasse mich darauf, daß du sie beschützt, Havildar.«
»Mit meinem Leben, Huzar«, erwiderte Gulab Khan feierlich.
Laura blickte zweifelnd auf die beiden Männer. Sie war sich nicht sicher, ob Ian ihr einen Extraschutz verschaffen wollte oder ob er versuchte, den Verwundeten mit der ihm übertragenen Verantwortung ein wenig zu beleben. Aber es war doch wahrscheinlich, daß sie diejenige war, die sich und Gulab Khan notfalls verteidigen mußte.
Ohne weitere Worte schlang sie den Proviantsack über die Schulter und begann zu klettern.
Ian war direkt hinter ihr. Als er sich neben sie hinaufzog, stellte er Gewehr und Munition ab und blickte dann in Richtung Afghanistan. »Unsichtbarer kann man praktisch nicht sein.«
Laura folgte seinem Blick. »Wenn du einen Steinwall baust, hast du zusätzlichen Schutz.«
»Gute Idee. Das tue ich, während ich auf die Company warte.« Ian drehte sich um und betrat die Höhle. Seine Stimme hallte, als er sagte: »Sie ist größer, als ich dachte.«
Laura folgte ihm. Sie fand einen Raum, der hoch genug war, daß man aufrecht stehen konnte, sich nach hinten aber wieder verjüngte und in der Dunkelheit verschwand. Ian wies auf ein Rinnsal Wasser, das die Wand heruntertröpfelte. »Mit Wasser kann ich ewig hier ausharren. Mir scheint, es gibt hier noch einen anderen Ausgang. Spürst du den Luftzug?«
Laura hörte seine Worte kaum. Der Hauptgrund, warum sie mit ihm hier hatte heraufklettern wollen, war der Wunsch nach einem privaten Abschied gewesen. Sie konnte nur daran denken, daß sie sich nun trennen mußten... vielleicht für immer. Mit erstickter Stimme sagte sie: »Paß auf dich auf, Duschenka.«
Er zog sie in seine Arme und küßte sie innig. »Das tue ich. Und du, du auch auf dich. Glaub mir, ich hasse es noch mehr, dich fortschicken zu müssen, als du es verabscheust, gehen zu müssen.«
Sie hielt ihn ganz fest und nahm diesen Augenblick in sich auf. Das Gefühl seines Körpers, der Klang seiner Stimme, die Empfindung, nur mit ihm ein Ganzes zu bilden — all das war so real, daß sie nicht glauben konnte, sie würde es vielleicht nie wieder erfahren. »Ich liebe dich, Ian«, flüsterte sie.
Seine Arme drückten ihre Rippen, bis ihr Brustkorb schmerzte. »Ich hatte eine Menge Glück in meinem Leben, Larissa Alexandrowna, doch das größte Glück war, dich zu treffen. Möge Gott mit dir sein, mein schönes Mädchen.«
Er küßte sie ein letztes Mal, und es tat weh. Dann kletterten sie den
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