Indische Naechte
das Messer aus der Hand geschossen.«
Sie wischte sich mit einem Turbanzipfel den Schweiß aus der Stirn. »Purer Zufall. Ich habe eigentlich auf seinen Körper gezielt, weil es die größte Fläche bot. Mein Bestreben war, hoch genug zu schießen, damit ich nicht zufällig dich traf.«
»Das hättest du nicht sagen sollen. Ich wollte mich gerade schon selbst loben, weil ich ein so guter Schießlehrer bin.« Er lachte leise. »Ich habe es dir beigebracht, damit du dein Leben schützen kannst, statt dessen hast du aber wohl das meine gerettet.«
Seine Heiterkeit und seine Berührung beruhigten
Laura wieder. Sie begann sich zu entspannen, während sie sich fragte, ob es das gewesen war, was sie förmlich gezwungen hatte, ihn zu begleiten. Mochte es auch Glück gewesen sein, sie hatte tatsächlich verhindert, daß man ihrem Ehemann die Kehle durchschnitt. Gott sei Dank gab es die russische Dickköpfigkeit.
Der Augenblick des Friedens war vorüber, als der Mann auf dem Boden die Augen öffnete. Ian ließ Laura sofort los und zog den Revolver, aber der Pathane hatte keine Energie mehr, um zu kämpfen. Um seinen linken Arm und seine rechte Wade trug er ungeschickt gewickelte, grobe Verbände, und sein Blick war hoffnungslos, wie der eines Mannes, der alles auf eine letzte Karte gesetzt und verloren hatte. Nichtsdestoweniger richtete Ian den Lauf auf ihn. »Bist du allein?« fragte er auf Pashto.
Der Mann starrte ihn an, sagte aber nichts.
Ian richtete nun den Lauf auf ihn. In leichtem Plauderton fragte er: »Was meinst du, wie schnell stirbt man mit einer Kugel im Bauch?«
Mit heiserer, aber trotziger Stimme preßte der Pathane hervor: »Mach schon, schieß, du Hund. Von mir erfährst du nichts.«
Ian entsicherte den Revolver. Er würde den Mann zum Reden bringen, wenn nicht durch Überzeugung, dann durch andere Mittel. Doch da meldete sich Laura zu Wort. »Ian, trägt er nicht die Hosen eines Company-Soldaten?«
Ian musterte den Pathanen und entdeckte unter seinem zerfetzten Mantel und dem blutgetränkten Hemd tatsächlich die Hosen eines Sepoys. Scharf fragte er: »Dienst du dem Sirkar?«
»Ja«, gab der Mann düster zurück. »Ich bin ein Havildar, und ich bin stolz darauf.«
Ein Havildar entsprach etwa dem englischen Rang eines Sergeants. Mit leichter Erregung sagte Ian auf englisch: »Laura, bring dem Burschen Wasser und etwas zu essen.« Dann ging er zu Urdu über. »Gehörst du zu denen, die sich aus Kabul zurückgezogen haben?«
Der Mann erschauderte kurz, faßte sich aber wieder. Er spuckte aus. »Du kriegst keine Informationen von mir, du dreckiges Schwein«, wiederholte er. »Sag deinem Herrn, daß Gulab Khan als Mann gestorben ist — treu bis in den Tod.«
Ian riß sich den Turban vom Kopf, so daß sein rotbraunes Haar sichtbar wurde. »Dein Herr und meiner sind dieselben, Havildar Gulab Khan. Ich bin ein Offizier des 46. Eingeborenen-Infanterieregiments.«
Gulab Khan starrte ihn einen Moment an, und sein Blick wanderte von Ians Haar zu den blaugrauen Augen und zurück. Dann hob er wortlos die bebende Hand zum militärischen Gruß.
Laura brachte den Wasserschlauch und ließ ein bißchen Wasser in den Mund des Pathanen tröpfeln, dann gab sie ihm die beiden Chapatis, die übrig waren. Der Mann schlang sie hinunter, und Laura fragte ruhig auf englisch: »Meinst du, er würde etwas Brandy nehmen? Es könnte ihn wieder ein bißchen aufrichten.«
Ian überlegte einen Moment. Für Moslems war Alkohol verboten, und die meisten rührten ihn nicht an, aber es gab Ausnahmen. Dieser Mann konnte bestimmt etwas gebrauchen; nun, da er Verbündete gefunden hatte, war er kurz vor dem Zusammenbruch. »Einen Versuch ist es wert. Bring ihn her.«
Sie kippte etwas Brandy in einen Becher. Ian nahm ihn und hielt ihn Gulab Khan vor die Augen. »Ich muß mit dir über das reden, was auf der anderen Seite der Berge geschieht, Havildar. Dich um dies zu bitten, ist eine schreckliche Sünde, und ich werde akzeptieren, wenn du ablehnst. Aber willst du um des Sirkar willen ein einziges Mal in Erwägung ziehen, Alkohol zu dir zu nehmen, um deine Energien wiederzuerlangen?«
Gulab Khan zögerte, hin- und hergerissen zwischen Moral und Notwendigkeit. Doch dann griff er nach dem Becher und trank den Brandy in zwei Schlucken, was einen sichtbaren Effekt hatte. »Was willst du wissen, Huzar?«
»Erzähl mir kurz, was mit der Armee geschehen ist.«
Während Laura seine Wunden reinigte und neu verband, fügte Gulab Khan der
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