Indische Naechte
hier hat schrecklich bedauert, dich bei deinem vorigen Besuch nicht getroffen zu haben. So hat das ganze Offizierskorps beschlossen, einen großen Ball dir zu Ehren zu geben, wenn du wiederkommst, damit jeder dir Hallo sagen kann.«
Ian schnitt eine Grimasse. »Ich weiß ja, daß das Regiment jede Chance zum Feiern aufgreift, aber muß es denn gleich ein Ball sein?«
»Ja«, antwortete David und hörte sich eher wie ein älterer Bruder an. »Und da du nun eine Frau hast, ist es doppelt notwendig.«
Sie betraten den Hauptraum des Bungalows, und David wies seinen Diener an, Limonade zu bringen. Ian wandte sich zu Laura. »Wird es sehr schlimm für dich sein, einer Menge Fremder gegenüberzutreten?«
Seine angespannte Miene sagte ihr deutlich, wie wenig er es liebte, Ehrengast einer großen Veranstaltung zu sein. In dem Wunsch, ihn etwas aufzuheitern, sagte sie fröhlich: »Ich würde mich freuen, deine Freunde kennenzulernen.« Doch dann schoß ihr ein Gedanke durch den Kopf, und sie runzelte die Stirn. »Aber ich habe wirklich überhaupt nichts Passendes anzuziehen.«
»Einer der ansässigen Schneider ist ein wahrer Magier, was Damenbekleidung betrifft. Er kann in ein paar Tagen ein wunderbares Ballkleid für Sie schneidern«, sagte David. »Ich bitte ihn, morgen herzukommen.«
»Tja, dann sollten wir es wohl schaffen.« Ians Stimme klang neutral, aber er wirkte immer noch angespannt. Laura hoffte nur, daß die folgenden Tage nicht alle Fortschritte zunichte machen würde, die sie bisher erreicht hatten.
15. März. Die Iden des März, wahrlich. Die letzten zwei Wochen war ich durch das Fieber vollkommen ausgeschaltet. Es ist so kalt und feucht in diesem dreckigen Kerker. Wäre wohl gestorben, wenn Ian mich nicht im Arm gehalten hätte, wenn ich Schüttelfrost hatte, meine Hände und Füße gerieben und sich überhaupt als Decke verdient gemacht hätte.
Wir können uns nur noch wie Welpen in einem Bau aneinanderkuscheln und wärmen.
Laura brauchte einige Zeit, um den ersten Absatz zu entziffern, denn Pjotrs Handschrift war inzwischen so undeutlich, daß sie kaum noch zu lesen war. Es war ihr erster Tag in Cambay, und David hatte Ian irgendwo hingeschleppt. Ian hatte bei ihr bleiben wollen, damit sie den unvermeidlichen Besuchern nicht allein gegenübertreten mußte, und obwohl sie ihn gerne bei sich gehabt hätte, fand sie, die Brüder hätten einige Stunden zu zweit nötig. So hatte sie also ihren Mann fortgescheucht und nutzte jetzt die friedliche Einsamkeit, die Worte ihres Onkels ins Englische zu übertragen.
22. März. Es ist bittere Ironie, daß ich, der ich den endlosen russischen Himmel gewohnt bin, in dieser ekelhaften winzigen Zelle sitze, in der nicht einmal ein Affe Platz genug hätte. Früher hätte ich gesagt, so eine Umgebung würde mich in den Wahnsinn treiben. Vielleicht ist es schon geschehen - vielleicht habe ich hier aber auch zur Weisheit gefunden.
Das Große Spiel - so nennt Ian das stille Tauziehen, das Rußland und Britannien auf den weiten zentralasiatischen Ebenen austragen, und das wir als Turnier der Schatten bezeichnen. Ich habe mir
immer eingeredet, daß ich mein Leben der Bewahrung der Grenzen meines Vaterlandes widme, aber vielleicht hat mein junger Freund ja recht, und ich habe meine Zeit mit einem Spiel von zwei Reichen verbracht, die sich wie Kinderzanken - eine gesteigerte Form von Schach für Blutdürstige und Machtbesessene. Ich liebte die Aufregung, die Gefahr, das Wissen, daß ich eine verborgene Macht war, deren Pläne Imperien stören und vielleicht sogar den Lauf der Geschichte ändern konnte.
Doch nun kommt es mir vor, als wäre der wahre Sinn meines Lebens gewesen, hier im Schwarzen Brunnen zu landen, wo es keine Spiele mehr gibt, mit denen ich mein kindliches Gemüt beschäftigen könnte. Zum ersten Mal bin ich gezwungen, meine eigene Seele zu betrachten. Nicht umsonst werden Gefängnisse mit wachsender Größe des Geistes in Verbindung gebracht, denn die Trennung zwischen Körper und Geist wird immer unklarer. Ich hasse diesen Ort, und wenn der Tod mich holen kommt, werde ich bereit sein. Dennoch habe ich einen Freund gefunden, der mir näher ist als jeder andere, seit mein Bruder im Kampf gegen Napoleon gefallen ist. Sergej starb vor dreißig Jahren. Dreißig Jahre! In den berauschenden Freuden des Spiels hatte ich tatsächlich vergessen, wie es ist, einen Freund zu haben.
Laura ließ die Feder sinken und starrte auf die Worte, die sie sorgfältig in das
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