Individuum und Massenschicksal
in ihr Arbeitszimmer kam, fand ich sie mit gequältem Ausdruck vor ihrer Schreibmaschine sitzen. Die Wirkung meiner Worte war offenbar stärker gewesen, als ich beabsichtigt hatte. Ich bat sie um Entschuldigung. Noch einmal betonte ich, daß ich sie nicht zu dem Vorhaben drängen wolle. Schließlich glaubte sie mir, und im Laufe des Gesprächs erfuhr ich auch, daß sie sich den Kopf darüber zerbrochen hatte, welches von Seths letztem Sitzungsmaterial in diesem Buch vorgelegt werden sollte. Sie fand die Entscheidungen, die ich in dieser Hinsicht getroffen hatte, gut, aber sie wünschte auch, daß Seth »sich wieder auf das Buch besinnen« und seine Sitzungen als Diktat bezeichnen sollte.
»Nun«, sagte sie, nachdem wir für die Sitzung Platz genommen hatten, »ich glaube, ich bin eigentlich bereit.« Dann, um 21.30 Uhr, kam Seth durch, ohne seine übliche Begrüßung:) Eine Bemerkung: Was deine Mitarbeit an unseren Büchern betrifft, so wäre es wohl besser, Joseph (wie Seth mich nennt) , wenn du sie nicht so sehr in der Beisteuerung von Anmerkungen verstehst, sondern im Sinne deiner Mitautorschaft. Weißt du, was ich meine?
(»Ja.«)
Eine so veränderte Auffassung könnte für dich in vieler Hinsicht von Vorteil sein. Du solltest wissen, daß deine persönlichen Charakterzüge, Interessen, Eigenschaften und Tendenzen mitverantwortlich sind für die Form, die das Material annimmt.
Die Zwischenfälle von Jonestown und Harrisburg sind in der Tat klassische Beispiele für Schnittpunkte, an denen sich persönliche und öffentliche Wirklichkeiten überschneiden. Ich beabsichtige, sie in »
Individuum und Massenschicksal« eingehend zu erörtern, weil hier der Wissenshintergrund, vor allem hinsichtlich der Bezugssysteme 1 und 2, schon vorgegeben ist.
Ich bin durchaus bereit, mehr Sitzungen pro Woche abzuhalten, und Ruburt (Jane) ist dazu, vor allem in rhythmischer Folge, durchaus imstande. Ist das klar?
(»Ja.« Jane hatte mir heute abend auch gesagt, daß sie die ungeplante Sitzung vom Sonntag besonders genossen hatte - sowohl was den Tag anging als auch die Tageszeit. Sie hatte sich frei gefühlt von aller Besorgnis über das, wovon sie gesprochen hatte und auch frei von unserer üblichen Routine.)
Nun: Diktat. Dies ist immer noch Teil des Kapitels 6. (Pause.) Die Katastrophe von Jonestown ereignete sich (im November 1978) lange nachdem wir dieses Buch begonnen hatten (im April 1977) . Gerade vor kurzem kam es zu einem anderen Vorfall - zu einer Panne und fast einer Katastrophe in einem Kernkraftwerk bei Harrisburg in Pennsylvanien. Bisher habe ich in meinen Büchern nur selten auf öffentliches Geschehen irgendwelcher Art Bezug genommen. Dieses Buch jedoch befaßt sich mit der Wechselbeziehung zwischen den Erfahrungen des Individuums und denjenigen der Massen, und so müssen wir uns zwangsläufig mit Träumen und Befürchtungen, die ganze Gruppen oder sogar nationale Mehrheiten hegen, und mit deren Niederschlag im privaten und öffentlichen Leben beschäftigen.
Der Wissenschaft zufolge gab es im Zusammenhang mit der Katastrophe von Jonestown keine radioaktive Verseuchung. Aber es gab natürlich eine psychologische Verseuchung und Auswirkungen, die im ganzen Land von Menschen in allen Lebenslagen verspürt werden. Die Situation von Jonestown wies entschieden all jene Eigentümlichkeiten auf, die ich als charakteristisch für eine Kultgemeinde oder eine Sekte bezeichnet habe. Da gab es Fanatismus sowie eine geschlossene geistig-seelische Umwelt, und es wurden Hoffnungen geschürt im Hinblick auf ein Ideal, das wegen der Konzentration auf all die Hindernisse, die den Weg dorthin zu verbauen schienen, unerreichbar war.
Die meisten Sekten haben ihre eigene spezialisierte Sprache -
ausgefallene Redewendungen, die stereotyp immer wiederkehren -, und diese besondere Sprache dient dazu, die Anhänger von der übrigen Welt zu isolieren. So verhielt es sich auch in Jonestown. Freundschaftliche und familiäre Bindungen wurden entwertet, und so hatten die Menschen von Jonestown all den Halt verloren, der in persönlicher Verbundenheit gründet. Sie fühlten sich bedroht von einer Welt, die gefärbt war von ihren Glaubensüberzeugungen und demzufolge ein Bild schrankenloser Schlechtigkeit und Verderbnis bot. (Pause.) All dies dürfte inzwischen hinlänglich bekannt sein. Die Situation führte zum Tode Hunderter von Menschen.
Die Situation von Harrisburg war eine potentielle Bedrohung Tausender von Menschenleben, und in
Weitere Kostenlose Bücher