Individuum und Massenschicksal
die dann die Grundlage für sein tägliches Leben und Handeln darstellt.
(22.08 Uhr.) Es gibt Verhältnisse und Zeiten, in denen es manchen gewiß so vorkommt, als ob alle Ordnungen hinfällig geworden wären, und so wird der Wunsch nach Rückkehr der alten Obrigkeiten laut. Und es gibt immer Fanatiker, die als Vertreter der endgültigen Wahrheit auftreten und sich einbilden, dem Einzelmenschen die Mühe persönlicher Leistung und Verantwortung abzunehmen. (Sehr nachdrücklich:) Individuen können - sie können - ohne Organisation überleben.
Organisationen können jedoch nicht ohne Individuen überleben, und die effektivsten Organisationen sind Gruppierungen von Individuen, deren eigene persönliche Macht in einer Gruppe zum Tragen kommt und die nicht versuchen, in der Gruppe unterzutauchen.
Organisiertes Handeln ist eine vorzügliche Methode, um Einfluß auszuüben, allerdings nur dann, wenn jedes Mitglied Eigeninitiative entwickeln und durch die Gruppenaktivität seine eigene Individualität erweitern kann, nicht aber gedankenlos bloß den Diktaten anderer Gefolgschaft leistet. (Pause.)
Fanatiker bedienen sich immer der riesigen Kluft zwischen einem idealisierten Heil und einer übertriebenen Version seines Gegenteils. Das idealisierte Heil wird in die Zukunft projiziert, während sein übertriebenes Gegenteil die Gegenwart zu verderben scheint. Das Individuum wird für ohnmächtig gehalten, aus eigenen Kräften erfolgreich auf jenes Ideal hinzuarbeiten.
Solcherart von der eigenen Machtlosigkeit überzeugt, maßt sich der Fanatiker an, sämtliche Mittel seien gerechtfertigt, um sein Ziel zu erreichen. Hinter alledem steht der Glaube, daß das Ideal auf spontane Weise nie und nimmer erreicht werden kann und daß der Mensch, sich selbst überlassen, tatsächlich in jeder Hinsicht nur Schlechtes zustandebringt. Wie denn könnte auch ein verdorbenes Selbst jemals hoffen, spontan irgend etwas Gutes zu bewerkstelligen?
Wir werden sehen. Punkt. Ende das Kapitels. Ende des Diktats.
(Dann lauter:) Ja, Ruburt hat sich wieder aufgemacht. Er ist auf der richtigen Spur. Er hat sein Projekt [für ein neues Buch], und du machst deine Sache gut, und ich wünsche euch beiden einen schönen guten Abend.
(»Gute Nacht, Seth.«)
(22.20 Uhr. »Ich fühle mich richtig gut, und Seth hat gut daran getan, dieses Material abzuschließen«, sagte Jane. »Vor der Sitzung hab’ ich mir Sorgen gemacht, was wir wohl Gutes erhalten würden und ob es sich in dieses Buch einfügen ließe oder ob es bloß jahrelang herumliegen würde. Aber dann sagtest du etwas Hilfreiches...«
»Daß ich mir wegen solcher Befürchtungen nicht mehr den Kopf zerbreche«, wiederholte ich. »Mir ging auf, daß ich nicht die ganze Zeit in Sorgen leben will, also habe ich meine Glaubensüberzeugungen geändert. Ich kann das einfach nicht mehr machen.« Worauf hin Jane lautstark und humorvoll als Seth zurückkam, nach vorn gebeugt und mit weitoffenen, dunklen Augen:)
Du hättest dir Sorgen sowieso nie machen sollen, und er (Jane) auch nicht. In den Buchsitzungen wird alles zur Sprache kommen, was zum Thema gehört.
(»Das weiß ich«, sagte ich, als Seth mich durch Janes Augen anstarrte. Dann war er fort.
22.23 Uhr. Aber dieses Wissen, so erklärte ich nun meinerseits ganz vergnügt Jane, würde mich nicht davon abhalten, gelegentlich eine nicht für das Buch bestimmte Sitzung, die ich für besonders gelungen und geeignet halte, in das jeweilige Buchmanuskript einzufügen, das Seth gerade in der Mache hat. Sie lachte.)
Sitzung 855, Montag, den 21. Mai 1979
(Am letzten Donnerstag erhielten Jane und ich vom Verlag Prentice-Hall die Belegexemplare der »Gespräche mit Seth«, der deutschen Übersetzung von »Seth Speaks«. Die Prentice-Hall hatte vor etwas mehr als einem Jahr die deutschsprachigen Rechte an diesem Titel dem Ariston Verlag in Genf, der das Buch im amerikanischen Original entdeckt hatte, überlassen. Doch kannten wir nicht den genauen Zeitpunkt, zu dem das Buch innerhalb der vereinbarten Zweijahresfrist erscheinen würde.
Damit liegt nun die erste Veröffentlichung eines Seth-Buches in einer Fremdsprache vor, und wir sind glücklich, feststellen zu können, daß die Übersetzerin, mit der übrigens Jane einige Briefe gewechselt hat, und das Lektorat des Ariston Verlages eine vorzügliche, sorgfältige Arbeit geleistet haben.
Außerdem erwarten wir, daß schon im nächsten Jahr »Seth Speaks
« auch in einer holländischen Übersetzung
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