Individuum und Massenschicksal
den Untergrund; so konnten viele seiner negativen Wesenszüge und verderblichen Charaktereigenschaften dem Unbewußten zugewiesen werden. Man sah den Menschen als ein in sich selbst entzweites Zwitterwesen, dessen obere Hälfte, eine Art bewußtseinsbegabte Galionsfigur, unbehaglich die mächtigen Pranken einer unbewußten tierischen Unterleibsnatur zierte. Der Mensch betrachtete sich selbst als durch Vererbung und die Umwelt seiner frühen Kindheit programmiert, so daß er allem Anschein nach für immer in Unkenntnis seiner wahren Motive bleiben mußte.
Nicht nur stand er zu sich selbst im Widerspruch, er verstand sich auch als Teil eines gleichgültigen mechanischen Universums ohne Aufgabe und Zielsetzung, eines Universums jedenfalls, das sich nicht im geringsten um den einzelnen kümmert, vielmehr nur um die Gattung.
Wahrlich eine seltsame Welt! (Pause.)
Es war eine in vieler Hinsicht neuartige Welt, denn es war die erste, in der eine große Anzahl Menschen glaubte, sie sei von Natur und Gott getrennt, und in welcher der Seele alle Großartigkeit aberkannt wurde. Ja, für viele Menschen wurde selbst die Idee der Seele verdächtig, peinlich, veraltet. Ich verwende hier die Wörter »Seele« und »Psyche« synonym.
Diese Psyche ist mehr und mehr in jeder nur möglichen Verkleidung zum Vorschein gekommen, um ihrer Vitalität, ihrer Entschiedenheit und Fülle Ausdruck zu verschaffen und um neue Zusammenhänge zu finden, in denen sie eine subjektive Wirklichkeit auszudrücken vermag, die zuletzt die Sperrmauern steriler Glaubenssätze überflutet.
Natürlich findet die Psyche ihren Ausdruck im Handeln, doch trägt sie in sich jenen ursprünglichen Impuls, dem das Leben entspringt; sie sucht die Erfüllung des Individuums und strebt automatisch die Schaffung eines gesellschaftlichen Umfelds oder einer zivilisierten Umwelt an, die produktiv und schöpferisch ist. Sie projiziert ihre Intentionen nach außen auf die materielle Welt und versucht, durch persönliche Erfahrung und soziale Kontakte ihre Potentiale zu verwirklichen, und zwar so, daß auch fremdpsychische Potentiale zum Leben erweckt werden. Sie sucht, ihre Träume zu realisieren, und finden diese im Leben der Gesellschaft keine Resonanz, so wird sie jedenfalls persönlichen Ausdruck in einer Art Privatreligion finden.
Geduldet euch einen Moment... Im Grunde ist Religion ein Anliegen, durch das der Mensch den Sinn seines Lebens zu erkennen sucht. Sie ist eine Konstruktion, die auf einem tiefen seelischen Wissen beruht. Ganz gleich, unter welchem Namen sie daherkommt, sie steht für die Verbindung des Menschen mit dem All.
Ende des Diktats. Jetzt noch ein paar Notizen.
(22.27 Uhr. Seth kam mit einer halben Seite Informationen für Jane durch - persönliches Material, das hier ausgelassen ist - und beendete die Sitzung um 22.34 Uhr. »Ich bin meiner selbst so schrecklich unsicher«, sagte Jane, sobald sie aus der Trance kam. »Ich bin so froh, daß er wieder am Buch ist. Ich frage immer wieder: Ist es gut, ist es gut? Ich weiß, daß es gut ist, aber ich habe vor lauter Spannung wieder dieses flaue Gefühl...«)
Sitzung 832, Montag, den 29. Januar 1979
(Die Sitzung von heute abend entsprach in ihrer Länge von etwa anderthalb Stunden mit Pause denjenigen der letzten Zeit; doch widmete Seth nur den ersten kürzeren Teil der Arbeit am Buch. - 21.11 Uhr.) Nun: Guten Abend. Diktat.
(»Guten Abend, Seth.«)
In eurer Gesellschaft herrscht allgemein die Ansicht vor, daß der Mensch ein ordentliches Einkommen, eine Familie oder andere menschliche Bindungen, eine gute Gesundheit und ein gewisses Zugehörigkeitsgefühl haben muß, wenn er überhaupt produktiv, glücklich oder zufrieden sein soll.
Die Verbesserung der Sozialeinrichtungen, des Gesundheitswesens und der Arbeitsbedingungen, Umwelt-, Familien- und sogar Freizeitplanung sind die Schlagworte einer Politik, die »den Massen«
Erfüllung bringen soll. Kaum je oder nur ausnahmsweise wird etwas über das dem Menschen innewohnende Bedürfnis gesagt, in seinem Leben einen Sinn und eine Aufgabe zu finden. Kaum je ist die Rede von dem eingeborenen Bedürfnis des Menschen nach Dramatik, nämlich nach innerer spiritueller Dramatik, dank der ein Mensch sich als Teil einer Aufgabe fühlen kann, die seine eigene ist und doch über ihn hinausreicht.
Es gibt ein Bedürfnis im Menschen, heroische Impulse zu empfinden und zum Ausdruck zu bringen. Seine instinktiven Impulse leiten ihn spontan dazu, die Qualität
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