Inés meines Herzens: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
schärft er die Sinne und schürt die Wollust. Selbst als jämmerliche, fast nackte Gerippe stiegen die Männer den Frauen nach, und diese ausgemergelten Geschöpfe wurden schwanger. Auch in den Hungerjahren kamen in unserer Kolonie Kinder zur Welt, aber die wenigsten überlebten.Von denen, die vor der Zerstörung Santiagos geboren waren, starben etliche in den beiden Wintern danach, und die übrigen waren nur Haut und Knochen, hatten aufgeblähte Bäuche und Augen wie Greise. Die karge Suppe für Spanier und Indios zu bereiten erwies sich als größere Herausforderung, als den Überraschungsangriffen von Michimalonko zu trotzen. In großen Töpfen kochten wir Wasser mit Kräutern aus dem Tal – Rosmarin, Lorbeer, Boldo und Maiten –, und dann gaben wir dazu, was wir finden konnten: einige Handvoll Mais oder Bohnen aus unserem rasch dahinschmelzenden Vorrat, Kartoffeln oder Knollen aus dem Wald, eßbares Grünzeug jeder Art, Wurzeln, Mäuse, Echsen, Grillen, Würmer. Auf Befehl von Juan Gómez, der weiterhin Profos unserer kümmerlichen Stadt war, hatte ich Tag und Nacht zwei bewaffnete Soldaten zur Verfügung, damit von dem wenigen, was im Keller und in der Küche lagerte, nichts gestohlen wurde, aber dennoch verschwand zuweilen etwas Mais und die eine oder andere Kartoffel. Ich verschwieg diese mitleidheischenden Diebstähle, weil Juan Gómez die Dienstboten dafür hätte auspeitschen müssen, und das hätte alles nur schlimmer gemacht. Es gab schon genug Leid, wir durften es nicht noch vergrößern. Wir überlisteten unseren Magen mit Tees aus Pfefferminze, Lindenblüten und Soldatenkraut. Wenn eins unserer Tiere starb, verwendeten wir den Kadaver vollständig: Mit dem Fell kleideten wir uns, aus dem wenigen Fett wurden Kerzen, das Fleisch wurde getrocknet, die Innereien kamen in die Suppe, und aus den Hufen stellten wir Werkzeug her. Die Knochen kochten wir so lange aus, bis sie sich in der Brühe auflösten wie Asche. Wir warfen sprödes Leder in heißes Wasser und gaben die Stücke den Kindern zum Nukkeln, damit sie ihren Hunger nicht so spürten. Die Hundewelpen, die im ersten Jahr geboren wurden, landeten im Topf, kaum daß sie von der Mutter entwöhnt waren, denn wir konnten keine weiteren Hunde mehr durchfüttern, auchwenn wir unser möglichstes taten, die anderen am Leben zu halten, weil sie unsere erste Verteidigungslinie gegen die Eingeborenen bildeten, und so blieb mein treuer Baltasar verschont.
Felipe war der geborene Bogenschütze, was immer er anvisierte, das traf er, und er war stets bereit, auf die Jagd zu gehen. Der Schmied hatte ihm Pfeilspitzen aus Eisen gefertigt, die wirkungsvoller waren als seine kleinen Steinkeile, und der Junge brachte von seinen Ausflügen Hasen und Vögel und manchmal sogar eine Bergkatze mit. Nur er wagte sich allein in die Umgegend und wußte sich im Wald vor feindlichen Blicken zu verbergen; die Soldaten waren stets in kleinen Trupps unterwegs und hätten so nicht einmal einen Elefanten erlegen können, hätte es in der Neuen Welt welche gegeben. Felipe setzte sich auch der Gefahr aus, armeweise Gras für die Pferde herbeizuschaffen, und dank ihm hielten sie sich, wenngleich dürr, auf den Beinen.
Ich schäme mich, es zu sagen, aber ich fürchte, es gab Fälle von Kannibalismus unter den Yanaconas und auch unter unseren verzweifelten Männern, wie es sie dreizehn Jahre später dann unter den Mapuche geben sollte, als der Hunger im übrigen Chile wütete. Die Spanier fanden darin eine Rechtfertigung für ihren Anspruch, die Mapuche zu unterwerfen, zu zivilisieren und zu bekehren, denn Menschenfresserei war der beste Beweis für Barbarei; doch ehe wir kamen, hatten die Mapuche Vergleichbares nie getan. In manchen, sehr seltenen Fällen, aßen sie das Herz eines Feindes, um dessen Kraft zu erlangen, aber das war ein Ritus und keineswegs üblich. Der Krieg in Araukanien brachte den Hunger. Kein Ackerbau war möglich, das erste, was Indios wie Spanier taten, war die Felder des Feindes niederzubrennen und sein Vieh hinzuschlachten, dann kamen die Dürre und der Chivalongo, der Typhus, der unzählige Opfer forderte. Als wäre das alles nicht schlimm genug gewesen, wurde das Land von einer Froschplage heimgesucht,und der Boden war mit stinkendem Schleim überzogen. In dieser grauenvollen Zeit ernährten sich die wenigen Spanier von dem, was sie den Mapuche entreißen konnten, aber die waren Tausende und Abertausende und irrten entkräftet durch das brachliegende Land. Die
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