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Inés meines Herzens: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Inés meines Herzens: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Inés meines Herzens: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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länger gelebt habe, als mir lieb ist. Du bist alles, was mich hier noch hält; ich gestehe, ich verspüre keine Neugier, meine Enkel groß werden und in den Wirren des Krieges leiden zu sehen, und nehme lieber die Erinnerung an ihr Kinderlachen mit. Ich bete aus Gewohnheit, nicht um mich zu beschwichtigen. Mein Glaube hat mich nie verlassen, aber mein Zwiegespräch mit Gott hat sich über die Jahre gewandelt. Manchmal ertappe ich mich dabei, daß ich ihn Ngenechén nenne und unsere Señora del Socorro mit der heiligen Mutter Erde der Mapuche verwechsle, aber ich bin nicht weniger katholisch als früher – Gott bewahre –, mein Bekenntnis zum Christentum hat sich nur ein wenig geweitet wie ein Kleidungsstück aus Wolle, das man viele Jahre getragen hat. Ich weiß, daßmir nur noch wenige Wochen bleiben, mein Herz vergißt zuweilen zu schlagen, mich schwindelt, ich muß mich festhalten und habe keinen Appetit mehr. Es stimmt nicht, daß ich mich zu Tode hungere, bloß um Dich zu ärgern, wie Du manchmal behauptest, Tochter, das Essen schmeckt mir einfach nach Sand, ich kann es nicht schlucken und begnüge mich lieber mit ein wenig Milch. Ich bin dünn geworden, ein mit Haut überzogenes Gerippe wie in den Hungerjahren, nur daß ich damals jung war. Eine dürre Alte ist lachhaft, meine Ohren sind riesig, und der kleinste Windstoß wirft mich um. Eines schönen Tages fliege ich davon. Ich sollte mich kürzer fassen, sonst bleiben viele meiner Toten im Tintenfaß. Tote – fast alle, die ich liebte, sind tot, das ist der Preis dafür, so lange zu leben.

Fünftes Kapitel

Schicksalsjahre, 1543–1549
    Nach der Zerstörung Santiagos trat der Rat der Stadt zusammen, um über das Los unserer kleinen, von der Vernichtung bedrohten Kolonie zu entscheiden, doch ehe die ersten Stimmen offen die von den meisten gewünschte Rückkehr nach Cuzco fordern konnten, warf Pedro de Valdivia das ganze Gewicht seiner Befehlsgewalt in die Waagschale und dazu ein Bündel kaum zu haltender Versprechen, um zu erreichen, daß wir blieben. Zunächst, entschied er, müßten wir Hilfe aus Peru anfordern; sodann müsse Santiago wie eine europäische Stadt durch eine Wehrmauer gesichert werden, die mächtig genug wäre, dem Feind allen Mut zu nehmen. Der Rest werde sich finden, man dürfe nur den Glauben an die Zukunft nicht verlieren, es werde Gold, Silber und Ländereien geben und dazu Indios für die Arbeit. Indios? Mir ist unklar, an welche Indios er dachte, die chilenischen jedenfalls hatten sich bisher nicht sehr willig gezeigt.
    Pedro wies Rodrigo de Quiroga an, alles vorhandene Gold einzusammeln, seien es nun die spärlichen Münzen, die sich einige Soldaten ein Leben lang zusammengespart hatten und in ihren Stiefeln verwahrten, sei es der einzige Hostienkelch der Kirche oder das wenige, was der Waschplatz von Marga-Marga erbracht hatte. Alles wurde dem Schmied übergeben, und der schmolz es ein und fertigte daraus die vollständige Ausstattung für einen Reiter, Zaumzeug und Steigbügel, Sporen und Beschläge für den Degen. Der tapfere Hauptmann Alonso de Monroy sollte sich zusammen mit fünf Soldaten und den einzigen sechs Pferden, die nicht verwundet oder klapperdürr waren, auf den Weg durch die Wüste nach Peru machen, dort mit diesemprunkvollen Goldputz für Aufsehen sorgen und mögliche Siedler nach Chile locken. Der Kaplan González de Marmolejo gab ihnen den Segen, wir begleiteten sie ein Stück des Wegs und verabschiedeten uns dann schweren Herzens und voller Zweifel, ob wir sie je wiedersehen würden.
    Für uns begannen zwei Jahre bitterster Entbehrung, und ich wünschte, ich könnte sie vergessen, wie ich wünschte, den Tod von Pedro de Valdivia vergessen zu können, aber über Erinnerungen besitzt man so wenig Macht wie über böse Träume. Ein Drittel unserer Soldaten wechselte sich Tag und Nacht bei der Wache ab, während die anderen, zu Bauern und Maurern geworden, die Felder bestellten, die Häuser wieder aufbauten und die Wehrmauer zum Schutz der Stadt errichteten. Wir Frauen arbeiteten Seite an Seite mit den Soldaten und Yanaconas. Wir hatten kaum etwas anzuziehen, fast alles war ein Raub der Flammen geworden; die Männer liefen wie Wilde im Lendenschurz umher, wir Frauen, bar jeder Scham, in Hemden. Die beiden Winter waren sehr streng, und außer mir und Catalina wurden alle krank; zäh wie Maultiere seien wir beide, sagte González de Marmolejo anerkennend. Auch zu essen gab es kaum, fast nur Wildkräuter,

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