Inés meines Herzens: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
erhob sich, wer immer sich auf den Beinen halten konnte, um den Generalhauptmann zu begrüßen. Ich blieb im Hintergrund, halb verborgen hinter ein paar Streifen Segeltuch; von dort sah ich Pedro, und das Herz wollte mir zerspringen aus Liebe und Traurigkeit und Ermattung. In der Mitte des Platzes stieg er vom Pferd, und ehe er seine Freunde umarmte, ließ er, bleich im Gesicht, den Blick über die Verwüstung schweifen auf der Suche nach mir. Ich trat einen Schritt vor, damit er sah, daß ich lebte; unsere Blicke trafen sich, und da straffte er sich und bekam wieder Farbe. Mit dieser unwiderstehlichen Stimme der Vernunft, die keinen Widerspruch zuließ, wandte er sich an seine Soldaten, lobte die Tapferkeit jedes einzelnen und vor allem derjenigen, die im Kampf gefallen waren, und dankte dem heiligen Jakob dafür, daß er die übrigen gerettet hatte. Daß die Stadt in Trümmern lag, sei nicht wichtig, gebe es doch Hände und aufrechte Herzen, sie aus der Asche erneut zu errichten. Wir müßten noch einmal von vorn beginnen, doch für die wackeren Spanier, die sich niemals geschlagen gaben, und für ihre treuen Yanaconas sei das kein Grund, den Mut zu verlieren, sondern wecke vielmehr ihren Tatendrang. »Sankt Jakob ist mit uns, Spanien voran!« rief er und hob sein Schwert. »Sankt Jakob ist mit uns, Spanien voran!« antworteten seine disziplinierten Soldaten wie ein Mann, aber aus ihren Stimmen sprach tiefe Mutlosigkeit.
Als wir an jenem Abend mit nichts als einer schmutzigen Decke auf der harten Erde lagen und ein dünner Sichelmond über unseren Köpfen aufging, brach ich in Pedros Armen vor Erschöpfung in Tränen aus. Er hatte sich bereits etliche Schilderungen der Schlacht und meiner Rolle darin angehört, doch anders als ich befürchtet hatte, sagte er, er sei stolz auf mich, und das seien sie alle, jeder seiner Männer in Santiago, die ohne mich ihr Leben gelassen hätten. Was man ihm erzählt hatte, war zweifellos übertrieben, aber so entstand mit der Zeit die Legende, ich hätte die Stadt gerettet. »Hast du den sieben Kaziken tatsächlich eigenhändig den Kopf abgeschlagen?« hatte Pedro mich gefragt, kaum daß wir allein waren. »Ich weiß es nicht«, sagte ich, und das war die Wahrheit. Pedro hatte mich nie weinen sehen, mir kommen nicht leicht die Tränen, aber bei diesem ersten Mal versuchte er nicht, mich zu trösten, sondern strich mir nur mit dieser geistesabwesenden Zärtlichkeit, die er zuweilen mir gegenüber zeigte, übers Haar. Wie in Stein gemeißelt lag er da, hatte einen harten Zug um den Mund und starrte in den Himmel.
»Ich habe solche Angst, Pedro«, schluchzte ich.
»Vor dem Tod?«
»Vor dem nun nicht, ich bin ja längst noch nicht alt.«
Er lachte trocken über die Anspielung: Oft hatten wir darüber gescherzt, daß ich etliche Ehemänner überleben und noch auf meine alten Tage eine begehrenswerte Witwe sein würde.
»Die Männer wollen nach Peru zurück, das weiß ich, auch wenn es bisher noch keiner auszusprechen wagt, um nicht feige zu erscheinen. Sie fühlen sich vernichtet.«
»Und du, Pedro? Was willst du?«
»Chile mit dir aufbauen«, sagte er ohne Zögern.
»Dann tun wir das.«
»Das tun wir, Inés meines Herzens …«
Meine Erinnerung an diese weit zurückliegende Zeit ist so lebhaft, daß ich alles, was in den ersten zwanzig oder dreißig Jahren unserer Besiedelung geschah, haarklein schildern könnte, aber die Zeit drängt, denn der Tod, diese gute Mutter, ruft nach mir, und ich möchte ihr folgen und endlich in Rodrigos Armen ruhen. Ich bin umgeben von den Gespenstern der Vergangenheit. Juan de Málaga, Pedro de Valdivia, Catalina, Sebastián Romero, meine Mutter und meine Großmutter, die in Plasencia begraben sind, und viele andere lösen sich immer deutlicher aus dem Dunkel, und ich höre sie in den Korridoren meines Hauses flüstern. Die sieben enthaupteten Kaziken müssen sicher im Himmel oder in der Hölle wohnen, denn sie sind mir nie erschienen. Ich bin nicht vergreist wie andere in meinem Alter, bin noch kräftig, und mein Kopf sitzt, wie es sich gehört, zwischen den Ohren, aber ich stehe mit einem Fuß jenseits des Lebens, und deshalb sehe und höre ich, was anderen verborgen bleibt. Dir, Isabel, bereitet es Sorge, wenn ich so rede; Du rätst mir zu beten, das beruhige die Seele. Meine Seele ist ruhig, ich fürchte mich nicht vor dem Tod, fürchtete mich damals nicht, als es vernünftig gewesen wäre, sich zu fürchten, und heute noch weniger, da ich
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