Inés meines Herzens: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
lernte zu reiten wie ein Zirkusakrobat und brachte mit seinen Kunststückchen etwas Leben in unsere traurige Siedlung. Er war wie verwachsen mit dem Tier, folgte seinem Rhythmus und mußte nie grob werden. Sattel und Sporen benutzte er nicht, dirigierte das Pferd mit einem leichten Druck seiner Schenkel, hielt die Zügel zwischen den Zähnen und hatte so die Hände für Pfeil und Bogen frei. Er konnte auf ein Pferd in gestrecktem Galopp aufspringen, oben eine Wendung vollführen, daß er mit dem Gesicht zum Schweif saß, oder ließ sich bis zum Bauch des Tieres hinabgleiten, klammerte sich mit Armen und Beinen fest und galoppierte so unter dem Pferd. Die Männer scharten sich um ihn und wollten es ihm gleichtun, aber so sehr sie sich mühten, es gelang keinem von ihnen.
Manchmal ging Felipe zum Jagen und blieb tagelang fort, und wenn wir eben dachten, er sei Michimalonko in die Hände gefallen, kehrte er wohlbehalten zurück mit einem Bündel Vögel über der Schulter, die unsere fade Suppe zu einem Festessen machten. Pedro wurde ungehalten, wenn der Junge verschwand; mehr als einmal drohte er ihm diePeitsche an, sollte er wieder ohne Erlaubnis die Stadt verlassen, aber er strafte ihn nie, denn wir waren auf seine Jagdbeute angewiesen. Mitten auf dem Platz stand der blutverkrustete Pfahl, an dem die Züchtigungen durchgeführt wurden, aber auf Felipe machte er offenbar keinen Eindruck. In den Jahren, seit er bei uns war, hatte er sich zu einem schmalen, aber zähen Halbwüchsigen gemausert, war für einen Mapuche recht groß, hatte hellwache Augen und wußte sich auszudrücken. Er konnte schwerer schleppen als jeder Erwachsene und hatte für Schmerz und Tod nichts als Verachtung übrig. Die Soldaten staunten, was er alles aushielt, und manch einer stellte ihn zum Spaß auf die Probe. Ich mußte einschreiten, weil sie ihn anhielten, glühende Kohlen mit der bloßen Hand aufzuheben oder sich mit Chili bestäubte Stacheln in die Haut zu drücken. Sommers wie winters schwamm er im ewig kalten Wasser des Mapocho. Er behauptete, das eisige Wasser stärke das Herz, deshalb tauchten die Mapuchefrauen ihre Kinder gleich nach der Geburt in die Fluten. Die Spanier, die das Wasser wie Feuer scheuen, scharten sich auf der Wehrmauer, hielten Maulaffen feil und schlossen Wetten ab, wie lange er durchhalten würde. Manchmal stürzte er sich in die Stromschnellen und blieb mehrere Vaterunser lang verschwunden, und wenn die Schaulustigen eben den Wettgewinnern auf die Schulter klopften, tauchte er unbeschadet wieder auf.
Das Schlimmste in jenen Jahren war unser Gefühl, schutzlos und von aller Welt verlassen zu sein. Wir warteten auf Hilfe, ohne zu wissen, ob die je eintreffen würde, alles hing davon ab, was Hauptmann Monroy zuwege brachte. Selbst Cecilias sonst zuverlässiges Botennetz brachte uns keine Kunde von ihm und seinen fünf Getreuen, aber wir machten uns keine Illusionen. Nur durch ein Wunder würde es dieser kleinen Schar Männer gelingen, das Feindesland und die Wüste zu durchqueren und an ihr Ziel zu gelangen. Bei einem unserer nächtlichen Gespräche gestand mir Pedro imVertrauen, das wahre Wunder wäre es, wenn Monroy tatsächlich Hilfe in Peru fände, wo kein Mensch Mittel in die Eroberung Chiles investieren wollte. Mit dem goldverzierten Zaumzeug seines Pferdes könnte er vielleicht die Gaffer beeindrucken, nicht aber die Obrigkeit und die Kaufleute. Unsere Welt war geschrumpft auf ein paar wenige, von einer Lehmmauer umschlossene Straßen, auf den Blick in die immer gleichen, vom Hunger gezeichneten Gesichter, auf Tage ohne Neuigkeiten, auf ewig sich wiederholende Handgriffe, seltene Ausfälle der Reiterei, um Lebensmittel zu ergattern oder eine Gruppe dreister Indios in die Flucht zu schlagen, auf Rosenkränze, Prozessionen und Bestattungen. Selbst Messen wurden kaum noch gehalten, denn uns blieb nur noch eine halbe Flasche Meßwein, und es wäre ein Sakrileg gewesen, hätten wir Chicha benutzt. Nur Wasser, das gab es reichlich, denn wenn die Indios uns den Weg zum Flußufer verwehrten oder mit Steinen einen der alten Bewässerungsgräben zum Versiegen brachten, gruben wir Brunnen. Meiner Gabe, Wasser zu finden, bedurfte es nicht, wo immer man grub, sprudelte das segensreiche Naß. Weil wir kein Papier besaßen, wurden die Beschlüsse des Rats und alle Gerichtsurteile auf Lederrollen niedergelegt, aber durch eine Unachtsamkeit wurden die Stücke zum Fraß der hungrigen Hunde, deshalb gibt es kaum offizielle
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