Inés meines Herzens: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Tock-tock-tock schlug der Specht den Takt dazu. Die Pferde scheuchten mit ihren Hufen Wolken kleiner Falter auf, und neugierig lugte das Wild aus dem Dickicht. Sonnenstrahlen brachen durch das Blätterdach und malten goldene Tupfen zwischen die Stämme; Nebelschwaden lösten sich von der warmen Erde und verwischten alle Konturen zu rätselhaften Traumgebilden. Regen und wieder Regen, Flüsse, Seen, weiße, schäumende Kaskaden, ein Kosmos aus Wasser. Und dahinter immer das schneegekrönte Gebirge und die rauchenden Vulkane unter den dahinfegenden Wolken. Im Herbst kleidete sich der Wald in Gold und Blut, funkelnd wie Geschmeide, überwältigend. Pedro de Valdivia ging das Herz über, und staunend trieb er sein Pferd weiter und weiter zwischen die schlanken, in Moos wie in feinstes Samt gehüllten Baumstämme. Der Garten Eden, das gelobte Land, das Paradies. Aller Worte bar, mit tränennassen Wangen, entdeckte der eroberte Eroberer das Land, wo die Welt zu Ende ist: Chile.
Eines Tages ritt er mit seiner Schar durch einen Avellano-Hain, als plötzlich Goldkörnchen aus den Baumkronen rieselten. Die Soldaten wollten ihren Augen nicht trauen, sprangen aus dem Sattel und stürzten sich auf die gelben Bröckchen, ohne auf Valdivia zu hören, der nicht weniger verwundert war als sie, aber zur Ordnung mahnte. DieMänner rangelten noch um das Gold, als sie sich plötzlich von hundert Eingeborenen mit Pfeil und Bogen umringt sahen. Lautaro hatte seine Krieger gelehrt, dorthin zu zielen, wo die Spanier nicht durch ihre Rüstung geschützt waren. Im Nu lagen etliche Tote und Verwundete am Boden. Ehe die übrigen sich gefaßt hatten, waren die Eingeborenen so unvermittelt, wie sie aufgetaucht waren, wieder verschwunden. Der Goldregen entpuppte sich als Flußkiesel, die mit einer dünnen Schicht Gold überzogen waren.
Einige Wochen später hörte ein anderer Trupp Spanier, der die Region durchstreifte, Frauenstimmen. In schnellem Trab ritten die Soldaten näher, erreichten das Ufer eines Flusses und sahen durch das Schilf ein bezauberndes Bild: Eine Gruppe Mädchen badete in den Fluten, sie trugen Blumenkränze, und das lange schwarze Haar verhüllte sie kaum. Die entzückenden Nixen zeigten keinerlei Scheu, als die Soldaten ihren Pferden die Sporen gaben und sich freudig rufend anschickten, den Fluß zu durchqueren. Weit kamen die bärtigen Lüstlinge nicht, denn das Flußbett war ein Morast, in dem die Pferde bis zu den Flanken einsanken. Die Männer stiegen ab, wollten die Tiere zurück ans Ufer zerren, konnten sich in den schweren Rüstungen aber kaum rühren und wurden nun ihrerseits in die Tiefe gezogen. In diesem Augenblick tauchten hinter ihnen Lautaros mitleidlose Bogenschützen auf und spickten sie mit Pfeilen, während die nackten Schönheiten das Massaker vom gegenüberliegenden Ufer aus bejubelten.
Valdivia hatte sehr schnell begriffen, daß der Feldherr, mit dem er es hier zu tun hatte, ihm das Wasser reichen konnte und offenbar die Schwächen der Spanier kannte, machte sich indes nicht viele Sorgen darum. Er war siegesgewiß. Wie kriegerisch und gerissen die Mapuche auch sein mochten, gegen die militärische Übermacht und Erfahrung seiner Hauptleute und Soldaten würden sie nicht bestehen. Es war nur eine Frage der Zeit, und Araukanien würde ihmgehören. Der Name des Toquis, der es wagte, den Spaniern zu trotzen, war bereits in aller Munde, und Valdivia hatte keine Mühe, ihn zu erfahren: Lautaro. Daß dieser Lautaro sein ehemaliger Stallbursche Felipe war, wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Erst am Tag seines Todes sollte er das entdecken. Valdivia besuchte die abgeschiedenen Weiler der spanischen Siedler und sprach den Bewohnern mit seiner nie versiegenden Zuversicht Mut zu. Juana Jiménez begleitete ihn, wie ich es einst getan hatte, während María Encio in Santiago das bittere Brot der Verlassenen aß. Der Gouverneur schrieb noch immer Briefe an den König und wiederholte ihm, die Wilden hätten eingesehen, daß sie die Ratschlüsse seiner Majestät und die Segnungen des Christentums annehmen müßten, er habe dies überwältigend schöne, gesegnete und fruchtbare Land unterworfen, und es mangele einzig noch an Spaniern und an Pferden. Wie nebenbei bat er erneut um Pfründe, bekam jedoch nie eine Antwort vom Kaiser.
Pastene, Admiral einer Flotte aus zwei in die Jahre gekommenen Schiffen, erkundete weiter die Küste von Norden nach Süden und zurück, kämpfte gegen unsichtbare Strömungen, beängstigende
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