Inés meines Herzens: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Disziplin aufrechtzuerhalten.
Wir hatten also einige Soldaten verloren, aber nach und nach kamen neue, die wie zerlumpte Gespenster durch das Land und die Gebirge gestreift waren, einst Almagro gedient hatten, besiegt worden waren und keine Freunde besaßen in Pizarros Reich. Über Jahre hatten sie von mildenGaben gelebt, und wenig hatten sie zu verlieren bei dem Wagnis, nach Chile zu gehen.
Etliche Wochen blieben wir in Tarapacá, damit Indios und Tiere zu Kräften kamen, ehe wir uns an die Durchquerung der Wüste machten, den schlimmsten Teil der Reise, wie Don Benito sagte. Das erste Teilstück sei überaus mühselig, sagte er, das zweite aber, das uns durch das sogenannte »entvölkerte Land« führen würde, entsetzlich. Pedro de Valdivia unternahm lange Erkundungsritte und suchte den Horizont ab in der Hoffnung auf weitere Freiwillige. Auch Sancho de la Hoz hätte zu uns stoßen sollen mit den versprochenen Soldaten und der Ausrüstung, die er auf dem Seeweg nach Süden bringen wollte, aber der feine Herr Bundesgenosse ließ nichts von sich sehen noch hören.
Ich sorgte dafür, daß weitere Decken gewebt wurden und Trockenfleisch, Getreide und andere haltbare Lebensmittel vorrätig wären, während Don Benito die Neger von früh bis spät an den Essen arbeiten ließ, um uns mit Munition, Hufeisen und Lanzen auszurüsten. Außerdem schickte er Suchtrupps aus, weil die Indios der Umgegend ihre Ernte vergraben hatten, ehe sie ihre Hüttendörfer verließen. Für unser Lager hatte er einen sehr günstigen und geschützten Platz gewählt, an dem es Schatten und Wasser gab und ringsum Hügel, auf denen er Wachen postierte.
Mit dem Zelt, das Pizarro mir geschenkt hatte, besaß ich die einzige ansehnliche Unterkunft im Lager. Es war aus gewachsten Segeltuchbahnen gefertigt, die sich über ein stabiles Holzgerüst spannten, und in seinen zwei geräumigen Kammern lebte es sich behaglich wie in einem Haus. Die übrigen Spanier lagerten mehr schlecht als recht unter flickenbesetzten Tüchern, die kaum Schutz vor Wind und Sonne boten. Einige besaßen nicht einmal das und schliefen auf dem Boden neben ihren Pferden. Das Lager der indianischen Hilfstruppen lag etwas abseits und wurde Tag und Nacht bewacht, damit niemand floh. Abendsflackerten dort Hunderte kleiner Feuer, über denen die Indios ihr Essen garten, und der Wind wehte die schwermütigen Klänge ihrer Rohrflöten zu uns her, die Mensch wie Tier gleichermaßen traurig zu machen vermögen.
Nicht weit entfernt von unserem Lager gab es zwei verlassene Dörfer, in denen wir, soviel wir auch suchten, nichts Eßbares fanden. Doch entdeckten wir dort, daß diese Indios in trauter Eintracht mit ihren verstorbenen Angehörigen leben, die Lebenden in dem einen, die Toten im anderen Teil der Hütte. In jeder Behausung gab es eine Kammer mit sehr gut erhaltenen, fast schwarzen Mumien, die nach Moos dufteten; Alte, Frauen, kleine Kinder, alle mit ihrer persönlichen Habe, aber ohne jeden Schmuck. In Peru hatte man Gräber gefunden, die vor Kostbarkeiten überquollen, sogar Statuen aus massivem Gold wurden den Toten dort beigegeben. »In Chile sind selbst die Toten arme Schlucker, kein Körnchen Gold weit und breit«, murrten die Soldaten. Zur Entschädigung banden sie die Mumien an Seile und schleiften sie im Galopp hinter ihren Pferden her, bis die Bandagen zerrissen und die Knochen kreuz und quer flogen. Sie begleiteten ihre Großtat mit schallendem Gelächter, aber im Lager der Yanaconas griff Entsetzen um sich. Die Sonne war kaum untergegangen, da raunte man dort, die geschändeten Knochen hätten begonnen, sich wieder zusammenzufügen, und noch vor Morgengrauen würden die Skelette über uns kommen wie eine Streitmacht aus dem Totenreich. Voller Furcht erzählten nun die Neger dieselbe Geschichte, und so kam sie den Spaniern zu Ohren. Da hob unter diesen unbezwingbaren Vandalen, die Angst nicht einmal dem Namen nach kannten, ein Gewimmer wie von Kleinkindern an. Gegen Mitternacht hatte das Schlottern und Zähneklappern im Lager Ausmaße erreicht, die Pedro de Valdivia dazu zwangen, seinen Männern eine Standpauke darüber zu halten, daß sie Soldaten Spaniens waren, beherzter und besser gerüstet als irgendwer sonst, und nicht einHaufen einfältiger Waschweiber. Ich lag nächtelang wach und betete, bis die Sonne aufging, weil die Skelette um das Lager schlichen, und wer etwas anderes behauptet, der ist nicht dort gewesen.
Der Unmut unter den Soldaten nahm zu und die
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