Inés meines Herzens: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
er trank einige Gläser zuviel über den Durst und sprang dann, als Narr verkleidet, mit Glöckchen und Schellen, auf dem Platz herum und äffte den Gouverneur nach. Natürlich ließ Juan Gómez ihn unverzüglich festnehmen, und kaum hatte er ihm ein paar Daumenschrauben gezeigt und ihm erklärt, an welchem Körperteil er sie ansetzen würde, da hatte Chinchilla einen nassen Fleck in der Hose und verriet die Namen seiner Kumpane.
Pedro war eiliger wieder zurück, als er aufgebrochen war, weil seine vierzig Tapferen es nicht entfernt mit der unerwarteten Masse von Kriegern aufnehmen konnten, die sich im Tal gesammelt hatten. Einige wenige Yanaconas hatte erretten können, die das Gemetzel in Marga-Marga und Concón überlebt hatten und hungrig, frierend und voller Angst in die Wälder geflüchtet waren. Kleinere Feindesgruppen, auf die er traf, hatte er aufgerieben, und das Glück, das ihm bisher stets treu gewesen war, hatte ihn auch diesmal nicht verlassen, drei Toquis hatte er gefangengenommen, die er mit nach Santiago brachte. Mit ihnen stieg die Zahl unserer Geiseln auf sieben.
Damit eine Siedlung eine Siedlung sei, müssen Kinder geboren werden und Alte sterben, doch ein spanischer Ort braucht wohl obendrein Hinrichtungen. Wir hatten die ersten in Santiago noch in derselben Woche, denn in einer kurzen Gerichtsverhandlung – diesmal mit Marter – wurden die Verschwörer zum sofortigen Tod verurteilt. Chinchilla und zwei weitere wurden gehängt, und ihre Leiber baumelten über Tage, dem Wind und den riesigen chilenischen Geiern preisgegeben, hoch oben auf dem Santa-Lucía-Hügel. Ein vierter wurde in seiner Zelle geköpft, weil er seine Adelstitel geltend gemacht hatte, um nicht wie ein Gemeiner durch den Strang zu sterben. Niemand begriff, weshalb Valdivia Sancho de la Hoz, den eigentlichen Rädelsführer, ein weiteres Mal begnadigte. Unter vier Augen widersprach ich seiner Entscheidung, schließlich war Pedro inzwischen der rechtmäßige Gouverneur Chiles, de la Hoz hatte mit seiner Unterschrift auf alle Ansprüche verzichtet, und seine königliche Ermächtigung war damit null und nichtig. Dieser Gernegroß war uns lange genug zur Last gefallen. Ich werde nie erfahren, weshalb er ein weiteres Mal mit dem Leben davonkam. Pedro weigerte sich, mir eine Erklärung zu geben, und ich hatte mittlerweile gelernt, daß man einen Mann wie ihn besser nicht bedrängt. Durch dieses Jahr und all seine Wechselfälle hatte Pedro viel von seiner Gelassenheit eingebüßt und geriet leicht in Zorn. Ich mußte still sein.
Inmitten der prächtigsten Landschaft der Erde, in den Tiefen der kalten Wälder Südchiles, in der Stille von Wurzelwerk, Rinde und würzigem Laub, wo trutzig die Vulkane und die Gipfel der Kordilleren wachen, die Seen wie Smaragde schimmern und die Flüsse von geschmolzenem Schnee schäumen, sammelten sich die Stämme der Mapuche zu einer Zeremonie ohnegleichen, einem Konklave der Alten, der Klanchefs, Toquis, Dorfoberhäupter, Machis, Krieger, Frauen und Kinder.
Nach und nach erreichten die Stämme eine Lichtung hoch oben auf einem Hügel. Dort war bereits mit den Ästen von Araukarie und Winterrinde, den heiligen Bäumen, ein weites Rund für die Zeremonie abgesteckt. Manche Familien waren seit Wochen durch den Regen gewandert, um an der Versammlung teilzunehmen. Die zeitig eingetroffen waren, hatten ihre Rucas errichtet, runde Hütten, die im dichten Grün selbst aus wenigen Ellen Entfernung nicht auszumachen waren. Die später kamen, behalfen sich mit Unterständen aus Ästen, deckten belaubte Zweige darüber und breiteten dort ihre Wolldecken aus. Am Abend wurde Essen gekocht, um es mit anderen zu teilen, und es gab Chicha und Muday, aber in Maßen, um nicht zu ermüden. Man besuchte einander, tauschte in wohlgesetzten und feierlichen Worten Neuigkeiten aus, wiederholte ausführlich die von Generation zu Generation bewahrten Geschichten des Klans. Reden und immerzu reden, das war das Wichtigste. Vor jeder Behausung brannte ein Feuer, der Rauch zerfloß im Nebel, der sich bei Sonnenaufgang vom Boden löste. Die Flammen zeichneten kleine Inseln aus Licht ins milchige Weiß des Morgens. Die jungen Männer kehrten vom Fluß zurück, wo sie in den eisigen Fluten geschwommen waren, und bemalten ihre Gesichter und Leiber in den rituellen Farben Gelb und Blau. Die Toquis streiften ihre hellblau, schwarz und weiß bestickten Wollumhänge über, hängten sich zum Zeichen ihrer Würde die Steinäxte,
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