Inés meines Herzens: Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Gehegen – in einem Raum des Hauses, wo ein oder zwei Wachslichter brannten und die Glut im Kohlebecken Wärme spendete. In den dunklen Abendstunden suchte ein jeder nach Zerstreuung. Der Kaplan stellte einen Chor aus Yanaconas zusammen, auf daß der fromme Gesang ihren Glauben festige. Aguirre unterhielt uns mit seinen tolldreisten Erlebnissen eines Frauenjägers und seinen schlüpfrigen Soldatenliedern. Mit Rodrigo de Quiroga, der zu Anfang eher still und zurückhaltend gewirkt hatte, ging das Temperament durch, und er offenbarte sich als geistreicher Geschichtenerzähler. Die wenigen Bücher, die wir besaßen, kannten wir schon auswendig, aberQuiroga nahm die Figuren aus einer Geschichte und ließ sie in einer anderen auftreten, wodurch sich eine unerschöpfliche Menge neuer Varianten ergab. Nur zwei unserer Bücher standen nicht auf der schwarzen Liste der Inquisition, und da Quirogas Abwandlungen erheblich wagemutiger waren als die Originale, war das Zuhören eine sündige Freude und entsprechend beliebt. Auch spielten wir Karten; diesem Laster waren alle Spanier und insbesondere unser Gouverneur verfallen, dem obendrein stets das Glück hold war. Um Geld spielten wir allerdings nicht, weil wir nicht zanken, den Dienstboten schlechtes Beispiel geben oder uns eingestehen wollten, wie arm wir waren. Man schlug die Laute, rezitierte Gedichte und unterhielt sich angeregt. Die Männer erinnerten sich ihrer Schlachten und Abenteuer und fanden begeisterte Zuhörer. Pedro mußte ein ums andere Mal von den Heldentaten des Marchese di Pescara berichten; Hauptleute wie Dienerschaft wurden nicht müde, die Gerissenheit des Marchese zu loben, als er seine Truppen mit weißen Laken im weißen Schnee tarnte.
Die Hauptleute kamen zusammen – auch das in unserem Haus – und erörterten die Gesetze der Kolonie, ein wesentliches Anliegen des Gouverneurs. Nach Pedros Vorstellung sollte die chilenische Gesellschaft auf dem Recht und auf dem Pflichtgefühl ihrer Lenker fußen; er beharrte darauf, daß niemand für ein öffentliches Amt entlohnt werden sollte, am wenigsten er selbst, da es Pflicht und Ehre sei, der Gemeinschaft zu dienen. Rodrigo de Quiroga war darin völlig seiner Meinung, aber einzig diese beiden waren von solch hohen Idealen erfüllt. Mit den Ländereien und den dazugehörigen Indios, die unter den tapfersten Streitern der Eroberung verteilt worden waren, werde man in Zukunft mehr als genug für ein angenehmes Leben haben, sagte Valdivia, auch wenn beides bisher noch ein Traum sei, doch wer mehr besitze, sei der Gemeinschaft in besonderer Weise verpflichtet.
Die Soldaten langweilten sich, übten sich zwar mit den Waffen, wohnten weiter ihren Buhlen bei und lieferten sich zuweilen Scharmützel mit den Indios, aber sonst hatten sie wenig zu tun. Alle Arbeit beim Hausbau, in den Pflanzungen und Ställen wurde von uns Frauen und von den Yanaconas erledigt. Meinen Tagen fehlten Stunden, um allem nachzukommen: Arbeit im Haus und in der Kolonie, die Pflege der Kranken, der Garten, die Tiere, der Unterricht mit González de Marmolejo und mit Felipe.
Mit der linden Frühlingsluft schöpften wir neuen Mut; vergessen waren die Schrecken, die uns die Streitmacht des Michimalonko noch eben eingejagt hatte. Wir fühlten uns stark, obwohl unsere Zahl durch das Massaker von Marga-Marga und Concón und durch die Hinrichtung der vier Verräter auf hundertzwanzig Soldaten geschrumpft war. Santiago war dem Schlamm und den winterlichen Wolkenbrüchen, als wir das Wasser eimerweise aus den Häusern schöpfen mußten, fast unversehrt entkommen; die Mauern hatten dem Dauerregen standgehalten, und die Menschen waren gesund. Selbst unsere Indios, die oft an einer einfachen Erkältung zugrunde gingen, hatten die Regenmonate wohlbehalten überstanden. Wir pflügten die Felder und pflanzten meine Keimlinge aus, die ich mit großer Sorge vor dem Frost geschützt hatte. Die Tiere hatten sich schon gepaart, und wir bereiteten die Koben für die Ferkel und die Koppeln für die Fohlen und kleinen Lamas vor, die bald zur Welt kommen würden. Sobald der Boden etwas abgetrocknet wäre, wollten wir die notwendigen Entwässerungsgräben ziehen, und wir schmiedeten sogar Pläne für eine Brükke über den Mapocho, um die Stadt mit den Ländereien zu verbinden, die es eines Tages geben würde, aber zunächst mußte die Kirche fertig werden. Das Haus von Francisco de Aguirre hatte bereits zwei Stockwerke und wuchs immer noch weiter; wir lachten über
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