Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ines oeffnet die Tuer

Ines oeffnet die Tuer

Titel: Ines oeffnet die Tuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
Vom Netzwerk:
Merkwürdigkeiten zu machen.
    Bilde ich mir das alles nur ein? Wenn ja, habe ich einen riesigen Dachschaden. Aber wenn nicht … wenn es diesen Raum tatsächlich gibt … wo bin ich dann eigentlich?
    Die Angst kehrte mit einem Schlag zurück. Sie eilte zur Tür und griff nach der Klinke. Hier, auf der Innenseite des Raums, glich sie einer fliegenden Frau im wehenden Gewand, wie ein flügelloser Engel. Sie fühlte sie warm an, als hätte jemand sie ganz lange mit der Hand umschlossen.
    Ines riss die Tür auf und stürzte nach draußen.
    Sie stand wieder in der Mädchentoilette. Das grelle Halogenlicht an der Decke, das Waschbecken – alles war genau so, wie sie es zurückgelassen hatte. Und im Spiegel war die offene Tür zu erkennen.
    Â»Ich werd noch verrückt«, murmelte Ines und presste die Augenlider fest zusammen. Dann zählte sie leise bis zehn in der Hoffnung, dass die Tür verschwunden wäre, wenn sie die Augen aufschlug.
    Sie war gerade bei der Sieben angelangt, als sie draußen auf dem Gang Schritte hörte. Die Toilettentür flog auf.
    Â»Ines! Hier steckst du also. Ich hab dich schon gesucht.«
    Ines blinzelte.
    Neben ihr stand Sonja mit finsterer Miene.
    Â»Ich hab’s aufgegeben mit der Klausur. Hab der Wunder die Blätter gebracht und bin raus. Es waren noch zwei Aufgaben, und ich hatte keinen Schimmer, wie ich sie lösen soll.« Sonja trat wütend nach dem Mülleimer. »Die gibt uns eh eine Sechs, elender Mist! Ich hasse das Weib! Wenn ich wegen der sitzen bleibe …«
    Sie hielt inne.
    Â»Sag mal, warum bist du eigentlich so bleich, Ines? Geht’s dir nicht gut?«
    Ines sagte keinen Ton. Sie starrte in den Spiegel, auf die Reihe der weißen Klotüren.
    Die dunkle Holztür war verschwunden. Wieder einmal!
    Â»Nun sag schon, was los ist.« Sonja klang besorgt. »Ist dir schlecht geworden? Oder hast du ein Gespenst gesehen?«
    Nein, dachte Ines.
Ich
bin ein Gespenst. Und ich spuke in Zimmern herum, die es gar nicht gibt.
    Â 

7.
    An diesem Tag beeilte sich Ines, nach der Schule rasch nach Hause zu kommen. Sie rannte die letzten Meter zum Mietshaus, in dem sie mit ihrer Familie wohnte, und nahm auf der Treppe zwei Stufen auf einmal. Oben schloss sie die Tür auf und platzte ins Wohnzimmer.
    Â»Wo ist Papa?«, rief sie aufgeregt.
    Auf der Couch ruhte ihre Mutter. Carmen hatte sich ein feuchtes Tuch auf die Stirn gelegt und trug einen Kopfhörer mit großen Hörmuscheln, die ihre Ohren vollständig umschlossen. Trotzdem konnte man den Operngesang hören, dem sie lauschte – Verdi. Carmen hörte immer nur Verdi, er war ihr Lieblingskomponist. Meistens summte sie die Melodien mit oder wiegte den Kopf im Takt.
    Â»Mama! Hallo!« Ines zupfte an Carmens Bluse.
    Endlich streifte ihre Mutter den Kopfhörer ab.
    Â»Schule schon aus?« Carmen drückte Ines einen flüchtigen Kuss auf die Haare. »Das Essen steht in der Küche. Ich habe Suppe gekocht. Sie müsste noch heiß sein …«
    Â»Mama, ich suche Veith. Er muss doch erst am Nachmittag zur Schule … ist er noch hier?«
    Â»Ich glaube, er ist beim Nachbarn, bei diesem … Guido.« Carmen verzog abfällig die Mundwinkel. »Wenn du rübergehst, kannst du ihm ausrichten, dass das Essen seit einer halben Stunde fertig ist. Ich renne ihm doch nicht durchs halbe Haus hinterher.«
    Â»Man könnte ja auch mal wieder
gemeinsam
essen«, merkte Ines spitz an. »So wie früher.«
    Â»Früher, früher.« Carmen zog sich das Tuch von der Stirn. »Da hat auch dein Vater ab und zu gekocht und mich nicht alles allein machen lassen. Und ihr Kinder kamt pünktlich aus der Schule, ohne zu trödeln – was willst du überhaupt von Veith?«
    Kurz dachte Ines darüber nach, ihrer Mutter von dem Erlebnis in der Schule zu berichten, von der rätselhaften Tür und dem Raum, der dahinter lag. Aber sie verwarf den Gedanken. Carmen würde es nicht verstehen. Nicht einmal ihren Vater konnte sie einweihen. Was sie gesehen hatte, war zu verrückt.
    Â»Ich sehe mal nach Papa«, sagte sie. »Dann können wir zusammen essen, wenn du magst.«
    Â»Ganz bestimmt«, murmelte Carmen. Es klang nicht danach, als ob sie große Lust dazu hatte. Sie stülpte sich den Kopfhörer über und versank wieder im Klangmeer der Oper.
    Ines war längst auf dem Weg zur Nachbarwohnung. Sie

Weitere Kostenlose Bücher