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Ines oeffnet die Tuer

Ines oeffnet die Tuer

Titel: Ines oeffnet die Tuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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»Dieses Märchen kannst du deiner Großmutter erzählen.«
    Das würde Agnes sicher nicht interessieren, dachte Ines.
    Â»Könnt ihr zwei nicht lesen? Was steht dort bei jeder Aufgabe? Bestimme durch eigene Rechenarbeit …
eigene
Rechenarbeit. Ist das so schwer zu begreifen? Ich hab es extra dazugeschrieben, damit sich niemand herausreden kann.« Frau Wunder klaubte die Mathearbeit von Ines auf. »Nun, ich werde beim Korrigieren achtgeben. Hoffen wir für dich, Ines, dass du keinen Fehler gemacht hast, den deine schlaue Freundin kopiert hat. Dann gibt es nämlich zwei Sechsen. Damit ihr lernt, was
eigene Rechenarbeit
bedeutet.«
    Ines starrte auf die Arbeitsbögen in Frau Wunders Händen. »Darf ich meine Lösungen denn noch mal ansehen?«, fragte sie tapfer.
    Â»Wozu? Ich dachte, du wärst fertig. Nein, wir wollen Sonja nicht in Versuchung führen. Geh einfach raus und überlege dir eine gute Ausrede, falls ich euch die Schummelei nachweisen kann.«
    Der Triumph in ihrem Gesicht war nicht zu übersehen.
    Ines packte wütend ihren Füller ein, warf Sonja einen entschuldigenden Blick zu und verließ das Klassenzimmer.
    Noch fünfzehn Minuten bis zum Stundenende … hoffentlich würde Sonja die restlichen Aufgaben ohne ihre Hilfe schaffen.
    Â 

6.
    Auf dem Flur des Schulgebäudes herrschte gespenstische Stille. Die Türen aller Klassenzimmer waren geschlossen, nur aus dem fernen Musikraum hallte ein Klavier. Missmutig tigerte Ines auf und ab, sodass ihre Schuhe auf dem PVC-Boden quietschten. Sie ärgerte sich über Sonja, über Frau Wunder, vor allem aber über sich selbst. Wieso hatte sie nicht besser aufgepasst, als sie die Mathearbeit zu Sonja hinübergeschoben hatte? Sie hätte wissen müssen, dass die Lehrerin es auf sie abgesehen hatte.
    Eine Sechs wäre echt übel, fluchte sie innerlich. Eine gute Mathenote kann ich dann vergessen. Und für Sonne sähe es richtig finster aus. Vielleicht bleibt sie wegen der blöden Klausur sogar sitzen …
    Aber vielleicht, ja vielleicht hatte Ines auch alles richtig gelöst, und Frau Wunder würde nicht beweisen können, dass Sonja abgeschrieben hatte.
    Wird schon gut gehen, machte sich Ines Mut. Die läppischen Matheaufgaben … ein Witz! Nichts, was die große Ines aus der Ruhe bringt. Ändern kann ich es eh nicht mehr.
    Da sie auf ihrer Hand ein paar Tintenflecke entdeckte, schlenderte sie zur Mädchentoilette. Während sie sich die Hand abseifte, blickte sie in den Spiegel über dem Waschbecken und betrachtete sich: ihre langen, glatten braunen Haare, ihre etwas zu hohe Stirn, die Stupsnase mit dem winzigen Leberfleck auf dem rechten Flügel, die Sommersprossen unter den Augen. Heute war Ines eigentlich ganz zufrieden mit sich. Ihre Wangen waren schön rot (das kam sicher vom Ärger mit Frau Wunder) und ihre Augen blinkten im Kunstlicht hell und wach.
    Ich bin vielleicht nicht so hübsch wie Sonja, dachte Ines, aber fast. Vielleicht gefalle ich Karol ja doch. Ich sollte ihn fragen, ob er mich treffen mag. Ich muss nur den Mut aufbringen.
    Sie seufzte und trocknete sich die Hände ab. Dabei schweifte ihr Blick von ihrem Spiegelbild zur Reflektion der weißen Klotüren, die in ihrem Rücken lagen. Sie waren mit Kritzeleien beschmiert. Auch wenn Ines sie jetzt durch die Spiegelverkehrung nicht lesen konnte, hatte sie den Unsinn bestimmt schon hundertmal gesehen.
    Ihr Blick glitt von Tür zu Tür – und blieb bei der letzten hängen.
    Diese Tür war nicht beschmiert.
    Sie war auch nicht weiß, sondern dunkel, fast schwarz, und aus Holz. Und ihre Klinke sah eigenartig aus …
    Erst jetzt begriff Ines, was sie da sah. Sie fuhr herum und riss die Augen auf.
    Â»Die Tür!«, stieß sie hervor. »Die Tür aus Omas Haus …«
    Sie war es tatsächlich!
    Das gleiche dunkle Holz, die gleiche Maserung, der Widderhorngriff …
    Sie stand in der Mädchentoilette ihrer Schule, und dort, wo sonst eine weiße Klotür war, befand sich die Tür aus Agnes’ Haus.
    Jene Tür, die verschwunden war, als Ines sie gesucht hatte.
    Ich bin verrückt, dachte sie. Oder ich träume. Wo kommt diese Tür her? Was macht sie auf dem Schulklo? Das ist unmöglich!
    Sie dachte angestrengt nach.
    Allerdings – wenn die Tür aus Agnes’ Flur verschwinden kann, warum sollte sie nicht auch irgendwo wiederauftauchen?

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