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Ines oeffnet die Tuer

Ines oeffnet die Tuer

Titel: Ines oeffnet die Tuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markolf Hoffmann
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plötzlich anders, ging zur Tür des Refugiums und riss sie auf.
    Ich kann jetzt nicht schlafen. Nicht nach dem Blödsinn, den Mama da redet.
    Noch im Türrahmen spürte Ines, dass sich etwas im Refugium verändert hatte. Wohlige Wärme schlug ihr entgegen und sie bemerkte ein flackerndes Licht. Zwei brennende Fackeln steckten in wuchtigen Bronzehaltern neben der Tür. Ihr Ruß schwärzte die getäfelte Decke. Ines hatte sie noch nie zuvor gesehen. Und an der Wand neben dem Fenster, wo sonst der alte Schrank gestanden hatte, befand sich ein Kamin, in dem ein Feuer knisterte. Die Stimmung war behaglich und freundlich, so als wollte das Refugium ihr Trost spenden.
    Ines schloss die Tür, zupfte ihr weißes Nachthemd zurecht und ließ sich in den Sessel fallen. Das Pantherfell fühlte sich weich auf der Haut an.
    Auf der Kommode seufzte die Uhr, als der große Zeiger nach vorn rückte.
    Â»Heute Nacht bleibe ich hier«, sagte Ines laut. »Damit niemand einen schlechten Einfluss auf mich ausübt. Zum Beispiel gescheiterte Opernsängerinnen!«
    Sie wollte die gemeinen Worte ihrer Mutter vergessen, aber es gelang ihr nicht. Um sich abzulenken, angelte sie nach dem Architekturbuch, das noch immer auf dem türkischen Kissen lag. Ines blätterte darin und war rasch wieder von den Abbildungen gefangen. Sie fand immer neue, die sie noch nicht gesehen hatte. Bilder von Gebäuden, die sie nicht kannte, von Brücken und Türmen, die ihr den Atem verschlugen.
    Es tat gut, sich mit etwas völlig anderem zu beschäftigen. Ihr Ärger über Carmen verflog, ebenso wie die Sehnsucht nach Karol und die Sorge um Agnes. Ines konzentrierte sich auf das Buch und ließ sich von den Fotos entführen … es war jedes Mal wie ein Zauber, wenn sie eine Seite aufschlug, ihre Fingerkuppen über die Aufnahme strichen und sie förmlich in das Bild hineingesogen wurde.
    Zwischendurch, wenn der Zeiger weiterwanderte, spähte sie zur Uhr. Das Zifferblatt veränderte sein Aussehen, je mehr Zeit verstrich. Anfangs war es silbern gewesen, nach zwei Stunden hatten sich die Zahlen und Markierungsstriche grün verfärbt, nach der dritten blau. Und das Seufzen der Uhr wurde flehender, lauter und drängender.
    Â»Passt dir irgendwas nicht?«, fragte Ines die Uhr. »Lass mich doch noch eine Weile hiersitzen.«
    Sie gähnte. Ihr Blick kehrte zum Buch zurück, wanderte über die nächste Abbildung, die nächste Skizze …
    â€¦ und dann fielen ihre Augen zu.
    Das Buch entglitt ihren Händen und purzelte zu Boden.
    Â 
    Ines schlief. Es war ein tiefer, fester Schlaf, traumlos und ohne Bewusstsein. Er dauerte ewig, so geborgen fühlte sie sich in dem Sessel, dessen Fell sie im Schlaf wärmte.
    Irgendwann schreckte sie auf.
    Es war dunkel im Zimmer. Das Feuer im Kamin war erloschen, nur etwas Glut glomm noch in der Finsternis.
    Auf der Kommode tickte die Uhr – und seufzte. Nein, eigentlich war es kein Seufzen, sondern ein Schrei. Die Uhr jammerte kläglich. So wie ein Säugling, der sich alleingelassen fühlte.
    Ines fuhr vom Sessel empor, dessen Fell sich plötzlich unter ihr sträubte.
    Das Zifferblatt der Uhr glühte feuerrot wie die Kohle im Kamin. Die Zeiger standen auf zwei Uhr und der große rückte bereits weiter vor.
    Sie hatte geschlagene vierzehn Stunden im Refugium verbracht!
    Â»Mist«, dachte Ines. »Da bin ich glatt eingeschlafen. Habe ich wirklich zehn Stunden geschlafen? Unglaublich!«
    Beklommen sah sie sich um. Der Raum, der so freundlich gewesen war, als sie ihn betreten hatte, wirkte nun kalt und trist. Der Nebel hinter dem Fenster war eine dicke weiße Suppe.
    Ich darf nicht länger als dreiundzwanzig Stunden im Refugium bleiben, erinnerte sich Ines. Das hat Agnes gesagt. Bleiben noch neun übrig. Also kein Grund zur Panik.
    Sie fragte sich, was eigentlich geschehen würde, wenn sie die dreiundzwanzig Stunden ausschöpfte, also einen Tag oder länger im Refugium blieb. War das überhaupt möglich?
    Hunger oder Durst hatte sie auf jeden Fall nicht. Sie musste nicht einmal aufs Klo. Das war ihr schon bei früheren Besuchen aufgefallen – bis auf Schlaf verspürte der Körper hier keine Bedürfnisse. So als würde er stillstehen.
    Vielleicht altert man deshalb nicht im Refugium, überlegte sie sich. Es ist geschenkte Lebenszeit, wie Agnes es gesagt hat. Und meinte sie nicht auch,

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