Ines oeffnet die Tuer
hatte einen seltsamen Akzent.
Ines nickte. Sie wusste nicht, was sie erwidern sollte.
»Ich habe im Nebel Ihr Licht gesehen. Da dachte ich, Sie brauchen vielleicht Hilfe oder wünschen Gesellschaft.«
Verschmitzt stellte der Mann seine Lampe auf den Fenstersims.
»Ich wusste nicht, dass da drauÃen jemand ist«, sagte Ines scheu.
»O nein?« Der Mann lachte. »Dann erlauben Sie mir, dass ich mich vorstelle. Mein Name ist Vopelian. Ich bin sozusagen Ihr ⦠wie sagt man? ⦠Ihr Nachbar!«
Ines weitete die Augen. »Ich habe einen Nachbarn?«
»So sieht es wohl aus, nicht wahr?«, kicherte Vopelian. »Unsere Fenster liegen dicht beieinander. Ich musste nicht lange durch den Nebel waten, um hierherzugelangen.«
Ines spähte über seine Schulter in den Nebel.
»Dann war das Ihr Licht, das ich gesehen habe?«
»Das nehme ich an.«
Er sprach ein wenig gestelzt, fand Ines. Ãberhaupt hatte Vopelian etwas Merkwürdiges an sich â allein die Kleidung, die er trug: ein faseriges Hemd aus blau gefärbtem Stoff, dessen Kragen mit Ornamenten verziert war wie der Rand einer antiken Vase. Auch fiel ihr auf, dass auf die Knöchel seiner Finger kleine Symbole tätowiert waren.
»Ja, ich sagte mir, es wäre angenehm, auf eine Unterhaltung vorbeizuschauen«, fuhr Vopelian fort. »Ihnen einen Besuch abzustatten. Es ist ⦠wie soll ich es formulieren? ⦠eine Weile her, dass ich mit jemandem gesprochen habe.«
Das erklärt einiges, dachte Ines.
»Es ist selten geworden, dass man im Nebel ein anderes Fenster erblickt«, seufzte der Mann. »Die meisten halten die ihren verschlossen und öffnen sie nie. Das war früher anders. Aber die Zeiten haben sich verändert.«
»Augenblick!«, rief Ines. »Es gibt da drauÃen noch andere Fenster?«
»Sicherlich. Obwohl ich lange keines gesehen habe. Sie sind alle verschwunden, seit der Nebel so undurchdringlich geworden ist.«
Das wird ja immer abenteuerlicher, stöhnte Ines im Stillen. Was hat Agnes mir eigentlich noch alles verheimlicht?
»Dann gibt es also nicht nur ein Refugium«, stellte sie fest.
»So nennen Sie diesen Raum, junges Fräulein?« Vopelian linste durch das offene Fenster herein. »Ein hübscher Raum übrigens. Sehr gemütlich. Nicht so unaufgeräumt wie der meine. Ich bin kein sehr ordentlicher Mensch, fürchte ich.«
»Und wie lange besitzen Sie Ihren Raum schon?«, wollte Ines wissen.
Vopelian legte die Stirn in Falten. »Das ist eine gute Frage. Ich kann sie nicht beantworten, es ist zu lange her. Ich weià nicht mehr das genaue Jahr ⦠kann mich nicht daran erinnern.« Er wirkte geistesabwesend und rieb die Finger aneinander, als wollte er in den Abgründen der Vergangenheit nach etwas greifen. Dann hellte sich seine Miene wieder auf. »Nun, es ist nicht so wichtig. Wichtig ist vielmehr, dass wir uns kennenlernen. Darf ich Ihren Namen erfahren, junges Fräulein?«
Sie zögerte kurz. »Ines«, sagte sie dann.
»Ines, es ist mir eine Freude.« Vopelian deutete eine Verneigung an. »Aber nun will ich nicht länger stören. Wie ich an Ihrem Nachthemd sehe, sind Sie im Begriff, sich schlafen zu legen. Das werde ich auch tun. Vielleicht können wir zu einer anderen Stunde ausführlicher miteinander plaudern. Ich komme gerne wieder vorbei. Spielen Sie zufällig Schach?«
»Ein wenig«, antwortete Ines verblüfft. Sie wusste, wie man die einzelnen Figuren zog, mehr nicht.
»Hervorragend. Ich würde mich freuen, eine Partie mit Ihnen zu spielen.« Vopelian griff nach seiner Lampe und reichte sie Ines. »Stellen Sie einfach dieses Licht ins Fenster, wenn es Ihnen passt. Dann kann ich es sehen und Sie besuchen. Chaire!«
Mit diesem Abschiedsgruà drehte er sich um und verschwand im Nebel. Seine Gestalt war nach wenigen Schritten nicht mehr zu sehen.
Ines betrachtete die Bronzelampe in ihren Händen. Die Kerze darin war fast niedergebrannt.
Es gibt da drauÃen andere Refugien, dachte sie. Wahnsinn! Und ich habe einen Nachbarn. Einen merkwürdigen zwar, aber eigentlich scheint er ganz nett zu sein.
Kopfschüttelnd schloss sie das Fenster.
Und du hast mir von alldem nichts gesagt, Agnes! Warum nur? Wolltest du nicht, dass ich jemanden von drauÃen treffe? Hast du dir deshalb diese blöde Regel mit dem Fenster ausgedacht?
Ihr Blick suchte wieder die
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