INFAM - Die Nacht hat tausend Augen (German Edition)
es dürfte wenig Angenehmes gewesen sein, schätze ich mal.“
„Wie habt ihr es gemacht, dass er oben friedlich in seinem Bett lag, bis ich sein Zimmer betrat?“
„Tja, bevor ich dich heute abholen kam, habe ich ihm ein leichtes Schlafmittel verabreicht und ihm eine ganz besondere Belohnung versprochen, wenn er artig im Bettchen bleibt, bis jemand zu ihm kommt. Und was, oder eher wer, diese Belohnung ist, muss ich dir sicher nicht extra sagen.“
Sarah schüttelte angewidert den Kopf, während sie den Flur im Erdgeschoss durchquerten. „Und wie kommt er überhaupt hierher?“
„Schluss jetzt mit der Fragestunde!“ Denise stach Sarah das Kantholz so fest in den Rücken, dass diese aufschrie. „Los, die Treppe hoch!“
Sarah überlegte kurz, ob sie einfach weglaufen sollte. Aber wohin? Die Türen sind verschlossen und in meinem Zustand holen die beiden mich ganz schnell wieder ein.
Sie verwarf den Gedanken und ging die Treppe hoch. Ein dämmriges Licht entwich dem Raum, in dem Sid vorhin in dem Himmelbett gelegen hatte.
Das Ganze muss doch ein einmalig verrückter Albtraum sein. Aber das hatte sie heute schon häufiger gedacht und leider war es das nicht.
„Nach links, erste Tür auf der linken Seite“, sagte Denise.
„Du sagtest vorhin etwas von furchtbar Entstellten, war das erfunden?“
„Ach, das war nur ein kleiner Scherz für dich. Nein, es erwarten dich keine furchtbar entstellten Menschen mehr. Ein hässlicher Freak wie unser Sid ist auch mehr als genug, findest du nicht? Aber was dich erwartet ist … schlimmer.“
Sarah wappnete sich innerlich für das nächste erschreckende Horrorszenario und drückte die Klinke des Raumes herunter, den Denise als Speisezimmer bezeichnet hatte.
26
Richard stand vor dem langen Computertisch und vergewisserte sich, dass seine Pistole geladen war. Eigentlich war das überflüssig, denn er wusste es, aber in dieser Hinsicht verhielt er sich wie manche Leute, die etliche Male überprüften, ob der Herd aus oder die Tür abgesperrt war. Er legte die Waffe ab, griff zu seiner Wollmütze, zog sie sich halb über die Stirn und nahm wieder auf seinem Lederstuhl platz. Noch hatte er Zeit für eine Zigarette, also fischte er sich eine aus der bereits fast leeren Packung und zündete sie an. Genüsslich inhalierte er das Nikotin, während er sein Meisterwerk auf dem Monitor verfolgte.
Nun ging es unwiderruflich dem Ende entgegen. Sarah würde einen einer grandiosen Horrorproduktion würdigen Tod sterben, der seinen Kunden und ihm nochmal einen aufregenden Nervenkitzel bescheren würde und damit fiel dann die letzte Klappe. Auf der einen Seite war er erleichtert, dass es nun zu Ende ging und er aufräumen und sich in Sicherheit bringen konnte. Auf der anderen Seite stimmte es ihn aber auch wehmütig. Der Rausch an Glücksgefühlen, der ihn in den letzten Stunden erfüllt hatte, war intensiver und befriedigender gewesen, als jeder Sex. Er hatte etwas Großartiges und Besonderes erschaffen und war so stolz, wie niemals zuvor in seinem Leben. Richard hatte sich als genialer Geist, als virtuoser Regisseur und als kreativer Visionär erwiesen und als solcher war ihm natürlich bewusst, dass sein Werk enormes Potential in sich barg, um noch viel mehr Kapital daraus zu schöpfen. Er sah in Sid eine Marke mit ungeheurem Vermarktungswert. Was ließe sich daraus alles machen, wenn er seiner Arbeit völlig legal nachgehen könnte, ohne Angst haben zu müssen, entdeckt und eingesperrt zu werden. Er würde Sid zu einem riesigen Star des 21. Jahrhunderts pushen, dessen Konterfei T-Shirts, Tassen und Kissenbezüge zierte. Er hatte im Chat gesehen, dass einige Zuschauer bereits jetzt inoffizielles Sid-Merchandise anboten. Richard fand das toll, aber es ärgerte ihn auch, denn eigentlich standen ihm die Einnahmen aus den Verkäufen zu. Er könnte rund um Sid eine Serie aufbauen, welche die SAW-Reihe, die im Guinness Buch der Rekorde als erfolgreichste Horror-Film Serie eingetragen war, in Vergessenheit geraten lassen würde. Computer- und Videospielfirmen würden ihm jede Menge Geld anbieten, um Lizenzen zu erwerben und es würden Comics und Bücher über Sid erscheinen. Das Potential war gigantisch, nur leider ließe sich das alles nicht realisieren.
Richard nahm einen weiteren tiefen Zug von seiner Zigarette und legte sie im Aschenbecher ab. Er konnte und wollte nicht hier bleiben und mit einer auffälligen Person wie Sid, durch die Gegend zu tingeln und ihn ständig
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