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Infam

Infam

Titel: Infam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Ablow
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vergrub ihr Gesicht in den Händen. »Geht es ihr gut?«
    »Das tut es«, versicherte ich ihr nachdrücklich. »Ihre Atmung ist wieder normal.«
    »Ich muss sofort zu ihr«, sagte sie. »Kannst du mich hinfahren?«
    »Nicht so schnell. Es geht ihr gut. Wirklich.« Ich legte meine Hand auf ihr Knie und bemerkte, wie mein Atem unwillkürlich schneller ging. »Lass mich erst zu Ende reden«, bat ich.
    Julia musterte panisch mein Gesicht. »O Gott. Da ist noch etwas.«
    »Es geht nicht um Tess«, sagte ich, ehe ich einen Moment innehielt. »Sie haben Billy gefunden. Er war am LaGuardia und hat auf einen Flug nach Miami gewartet.«
    Sie seufzte erleichtert. »Wenigstens ist er jetzt in Sicherheit.«
    »Sie bringen ihn ins Bezirksgefängnis von Boston. Ich werde dort morgen früh mit ihm sprechen.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Er sollte nicht einen einzigen Tag in irgendeinem Gefängnis zubringen müssen«, sagte sie. »Er ist unschuldig. Ich weiß das jetzt.«
    Ich nahm meine Hand von ihrem Knie und nickte zustimmend.
    Julia sah mich besorgt an. »Was noch?«, fragte sie.
    »Nichts«, antwortete ich, doch mein Seufzen strafte meine Worte Lügen. »Ich hatte Gelegenheit, Marion Eisenstadt anzurufen«, erklärte ich.
    Sie starrte mich einen Moment lang an. »Das ist nicht dein Ernst.«
    »Du kannst es mir sagen, wenn der Brief nicht an sie gerichtet war«, sagte ich.
    »Ich kann nicht glauben, dass du sie tatsächlich damit belästigt hast. Hinter meinem Rücken.«
    »Sie hat mir erzählt, ihr hättet vier oder fünf Therapiestunden zusammen gehabt. Mehr wollte sie nicht sagen.«
    »Sie hat dir nichts von den Briefen erzählt?«
    Bluffte sie? »Sie hat sich geweigert«, antwortete ich. »Ohne schriftliche Einverständniserklärung von dir wollte sie nichts sagen.« Ich wartete ab, wie sie auf diesen nicht sonderlich subtilen Wink reagieren würde.
    »Du willst, dass ich irgendein Formular unterschreibe, damit du dir meine psychiatrischen Unterlagen ansehen kannst, um zu beweisen, dass ich niemand anderen gevögelt habe? Machst du Witze?«
    »Ich will nur, dass du mir gegenüber offen bist. Ich will, dass du weißt, dass du mir gegenüber offen sein kannst.«
    Sie schüttelte enttäuscht den Kopf, während sich ihre Augen mit Tränen füllten.
    »Wenn der Brief an jemand anderen gerichtet war, dann muss ich im Zuge der Ermittlungen mit der betreffenden Person reden. Ich kann nicht einfach …«
    Sie sah mich an, und der Zorn in ihrem Blick vertrieb jegliches Anzeichen von Traurigkeit. »Stimmt genau. Du kannst einfach keine Ruhe geben. Du kannst die Vergangenheit nicht loslassen und uns die Chance auf ein gemeinsames Leben geben. Du siehst überall Phantomliebhaber von mir. Weil Eifersucht keinen Mut erfordert, Vertrauen hingegen schon. Jemanden zu lieben erfordert Mut. Und du bist unfähig, jemanden wirklich zu lieben.«
    Ich ließ nicht locker, obgleich Julias Diagnose von mir einen Nerv getroffen hatte. »Trotz allem ist es schwer, zu verstehen, wie du nach nur vier oder fünf …«
    »Es ist nicht meine Aufgabe, dich von irgendetwas zu überzeugen«, entgegnete sie. »Glaub, was du willst.« Sie stand auf. »All das hier ist völlig idiotisch. Wir sind völlig idiotisch. Ich muss zu meiner Tochter.«
    Ich war mir nicht sicher, ob ich wirklich wollte, dass sie ging – die Wohnung oder mich verließ. Denn selbst wenn Julia log, bezog sich ihre Lüge vermutlich nur auf ihre komplizierte Vergangenheit mit Männern. Und mein eigenes Liebesleben war schließlich auch nicht gerade unkompliziert gewesen. Vielleicht hatte sie Recht, und ich stand tatsächlich zaudernd an der Schwelle eines Gefühls, dem ich mein ganzes Leben lang nachgelaufen war – dem Gefühl bedingungsloser Liebe für eine Frau.
    Sie ging zur Tür.
    »Geh nicht«, bat ich.
    Sie blieb stehen, ohne sich jedoch zu mir umzudrehen. »Du bist derjenige, der gegangen ist«, erklärte sie und ging weiter.
    »Es ist spät«, sagte ich. »Lass mich dich doch wenigstens hinfahren.«
    Sie öffnete die Tür und schlug sie hinter sich zu.

18
    Sonnabend, 29. Juni 2002
    Ich tigerte eine Weile in der Wohnung auf und ab, sorgsam darauf bedacht, dem Schnapsschrank nicht zu nahe zu kommen, während ich überlegte, ob ich Julia nachgehen sollte. Doch ich blieb, wo ich war, obwohl die Entscheidung ziemlich knapp war. Ob sie mich angelogen hatte oder nicht, ob sie in meine Seele geblickt hatte oder nicht, fing ich endlich an, tief in meinem Herzen zu glauben, was North Anderson

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