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Infam

Infam

Titel: Infam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Ablow
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gegeben«, knurrte er. »Wo ist mein Fünfer?«
    Ich lächelte. »Jetzt übertreiben Sie es ein wenig. Viel Glück.« Ich trat an ihm vorbei.
    Keine zehn Meter weiter hörte ich hinter mir Schritte auf dem Bürgersteig. Ich drehte mich um und sah denselben Mann auf mich zulaufen. Sein Blick war zielgerichteter als zuvor, und er hielt mit einer Hand etwas umklammert, das im fahlen Schein der Straßenbeleuchtung schimmerte. Ich erwog loszurennen, doch er war bereits bis auf zwei Meter an mich herangekommen.
    Er lächelte und entblößte eine Reihe makelloser, strahlend weißer Zähne, was mir wie ein Beweis erschien, dass er mir aufgelauert hatte und nur so tat, als wäre er ein Penner. Er hob seinen Arm über den Kopf.
    Hastig wich ich zurück, brachte meine Fäuste in Karatehaltung und wartete darauf, dass er einen Schritt näher kam. Wenn er nur ein Messer hatte, dann würde ich ihn zu Boden bringen, bevor er es benutzen konnte.
    Er blieb stehen und ließ seinen Arm sinken. »Tut mir Leid«, sagte er. »Ich hab dich erschreckt.« Zögernd hielt er ein silbernes Kruzifix in die Höhe. »Hab ich vergessen«, sagte er. »Vielen Dank. Und Gott segne dich.« Er schenkte mir abermals jenes strahlende Lächeln, ehe er mit dem Kruzifix auf seinen Mund deutete. »Auf Wohlfahrtsschein. Alle ganz neu«, sagte er, als könnte er meine Gedanken lesen. »Hab sie heute gekriegt.« Dann drehte er sich um und ging Richtung Charles Street davon, wahrscheinlich, um auf seine neuen Zähne anzustoßen, wer weiß.
    Ich atmete tief durch, überredete mein Herz, wieder langsamer zu schlagen, und machte mich wieder auf den Weg Richtung Gefängnis. Vielleicht wäre ein Anruf bei Laura Mossberg doch gar keine so schlechte Idee, dachte ich.
    Ich war noch immer knapp zwei Blocks vom Gefängnisgebäude entfernt, als ich eine Reihe Fernsehteams eilig in Position gehen sah. Ich beschleunigte meine Schritte. Ich wollte nicht über Billys Fall sprechen, bis ich die richtige Botschaft parat hatte, um die Geschichte zu widerlegen, die Bishop, O’Donnell und Harrigan sich ausgesponnen hatten.
    Wie versprochen, hatte North Anderson mir den Weg für mein Gespräch bei Billy geebnet, sodass ich problemlos am Eingangstresen meinen Besucherausweis erhielt. Ich schrieb mich ins Wachbuch ein, ging durch den Metalldetektor und dann durch drei Eisentüren, von denen sich jede erst öffnete, nachdem die dahinter liegende zugeschlagen war.
    Obwohl ich schon häufig Gefängnisse besucht habe, ist es mir nie gelungen, das Gefühl von Melancholie abzustreifen, das sie in mir wecken. Bei jedem Besuch ist mir, als würde ich in Fragen ertrinken. Durch welche Wendung des Schicksals sind diese Leute hier gelandet? Wer erinnert sich noch daran, wie sie als kleine Jungen waren, so unschuldig und erstaunt? Und die Frage, die im Kern dieser Überlegungen liegt: Welcher glückliche Zufall erlaubt es mir, als freier Mann umherzugehen? Denn ich empfinde nicht dieselbe Kluft zwischen mir und diesen Vergewaltigern, Mördern und Dieben, wie es wahrscheinlich die meisten anderen Menschen tun. Was mich von ihnen trennt, ist kaum mehr als eine hauchdünne, durchscheinende Membran. Und ich glaube, sie spüren das. An mir haftet der Geruch ihres Rudels. Wären da nicht die gelegentlichen freundlichen Worte meines unberechenbar gewalttätigen Vaters gewesen, ein Lehrer in der sechsten Klasse, der mich mochte und mir versicherte, dass aus mir einmal etwas werden würde, und unzählige andere, unendlich kleine Einzelheiten meiner Lebensgeschichte, hätte ich ohne weiteres als einer der Insassen hier enden können.
    Ich ging einen langen, breiten Flur zu den Vernehmungszimmern entlang. Im Licht der Neonröhren wirkte meine Haut leichenblass. Das gebohnerte graue Linoleum des Fußbodens verwandelte jeden meiner Schritte in ein unheilvolles Echo, das von den strahlend weißen Ytong-Wänden widerhallte.
    Am Ende des Flurs erwartete mich ein Wärter und brachte mich zu Billy Bishop, der bereits an einem kleinen Tisch in einem zwei mal zwei Meter fünfzig großen Raum mit einer Glastür saß. Er trug den obligatorischen orangefarbenen Overall mit einer aufgedruckten schwarzen Nummer auf seiner Brust. Er sah noch genauso drahtig aus wie im Payne Whitney, doch war sämtliche Unverfrorenheit aus seiner Haltung gewichen. »Ich wünschte, Sie hätten mir das Geld geliehen«, sagte er und zwang sich zu einem Grinsen. »Ich wär schon längst weg gewesen.«
    Ich nickte dem Wärter zu, worauf er das

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