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Infam

Infam

Titel: Infam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Ablow
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Sie ihn adoptierten. In welcher Hinsicht?«
    »Ich weiß nicht, was Chief Anderson Ihnen bereits erzählt hat«, sagte Bishop.
    »Ich höre die Dinge gern aus erster Hand«, erwiderte ich.
    »Nun gut. Wir haben Billy aus einem Moskauer Waisenhaus adoptiert, als er sechs war. Das war vor zehn Jahren. Er hatte ein schweres psychologisches Trauma erlitten.«
    »Was ist mit ihm passiert?«, fragte ich.
    »Seine Eltern wurden ermordet«, erklärte Bishop tonlos.
    »Wie?«, wollte North wissen.
    »Beide wurden mit jeweils einem Kopfschuss getötet, wie bei einer Hinrichtung. Billy wurde neben ihren Leichen gefunden. In der Wohnung der Familie.«
    »Wurde der Fall aufgeklärt?«, fragte North.
    »Ich bin nicht sicher, ob es überhaupt eine Ermittlung gab«, antwortete Bishop. »Wir sprechen hier von einer Zeit umwälzender Veränderungen dort drüben – Korruption in der Regierung, Übermacht des organisierten Verbrechens. Die Polizei war mehr damit beschäftigt, Schutzgelder von Geschäftsbesitzern zu kassieren, als die unbescholtenen Bürger von Moskau zu beschützen.« Er räusperte sich. »Ich bin sicher, dass die Zeit im Waisenhaus alles nur noch schlimmer gemacht hat. Als Billy in die Staaten kam, hatte er am ganzen Leib blaue Flecke und war unterernährt. Er wog gerade mal fünfzehn Kilo.«
    »Und in emotionaler Hinsicht?«, fragte ich.
    »Auf den ersten Blick ein sehr sanftmütiges, verletzliches Kind. Er hatte Angst vor lauten Geräuschen, unbekannten Orten, unbekannten Gesichtern. Selbst vor mir. Sein größtes Problem waren seine Albträume, aus denen er völlig hysterisch hochgeschreckt ist. Sein Schlaf ist nie wirklich ruhiger geworden.« Bishop verschränkte seine Finger. »Das mag zum Teil daran liegen, dass er so lange Bettnässer war.«
    Ich dachte wieder an Carl Rossettis Wette im Café Positano in East Boston, es würde sich herausstellen, dass Billy alle drei Risikofaktoren für Psychopathie aufweisen würde – Tierquälerei, Feuerlegen und Bettnässen. »Wie hat er sich im Lauf der Zeit entwickelt?«, fragte ich.
    »Seine Angst hat eindeutig nachgelassen«, meinte Bishop. »Leider trat Aggression an ihre Stelle. Er hat mich und seine Mutter angegriffen, ohne jede Vorwarnung. Eine Zeit lang haben wir uns gefragt, ob er wütend auf uns ist, weil wir ihn in dieses Land gebracht haben – oder weil wir versuchen, ihm seine leiblichen Eltern zu ersetzen. Aber seine Destruktivität hat sich nie allein gegen Julia und mich gerichtet, sondern praktisch gegen alles: Dinge, Tiere, sogar ihn selbst.«
    »Hat er sich Schnitte zugefügt?«, fragte ich.
    »Ja. Und er hat sich gebissen«, erklärte Bishop. »Außerdem hatte er die Angewohnheit, sich das Haar auszureißen. Die Selbstverletzung hat irgendwann aufgehört; die Gewalttätigkeit gegen andere nicht.«
    »Ist Billy von einem Psychiater behandelt worden?«, fragte ich.
    »Von vielen. Er ist in ein halbes Dutzend psychiatrische Abteilungen eingewiesen worden, gleich nachdem er mit neun Jahren die Haustiere von Nachbarn verletzt hat.«
    »Und hatte er einen behandelnden Psychiater außerhalb des Krankenhauses?«
    Bishop schüttelte den Kopf. »Das Jugendamt hat mehrmals ambulante psychiatrische Betreuung zu einer Bedingung für Billys Freilassung gemacht. Er hat sich genau an die Vorgaben gehalten – zehn Therapiestunden, fünfzehn, was immer nötig war, um rauszukommen und nicht in die Jugendstrafanstalt zu müssen. Danach hat er sich strikt geweigert, in die Kliniken zu gehen. Wenn wir ihn gezwungen haben, hat er nur die ganze Stunde über stumm dagesessen. Die Ärzte haben es einmal auch mit Prozac probiert, nachdem er versucht hatte, das Haus anzuzünden. Aber die Pillen schienen ihn eher noch impulsiver zu machen.«
    Ich musterte Bishop einen Moment lang. Er wirkte ebenso gekünstelt wie seine Umgebung. Elegant und unerschütterlich. Vielleicht war eine kleine Konfrontation doch keine ganz schlechte Idee, dachte ich. Vielleicht würde sie ihm irgendeine Emotion entlocken. Schuld. Wut. Irgendetwas. »Wieso haben Sie überhaupt den Fehler gemacht, ihn zu adoptieren? Ausländische Adoptionen sind ja bekanntermaßen problematisch, auch ohne eine katastrophale Familiengeschichte wie Billys.«
    Er ließ sich nicht von dem Wort
Fehler
ködern. »Meine erste Adoption, die von Garret, war eine durch und durch positive Erfahrung. Ich war dabei, ein Unternehmen in Russland aufzubauen, und hatte überwältigenden Erfolg«, erklärte er. »Ich wollte etwas

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