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Infam

Infam

Titel: Infam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Ablow
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an. Er hatte offenkundig nicht geschlafen. »Wer sind
Sie
?«, wollte er wissen.
    »Frank Clevenger«, antwortete ich und starrte ihn ebenfalls an. »Ich bin Psychiater.«
    Billys eisblaue Augen blitzten. Er war sechzehn und sah wie der Prototyp eines Jugendlichen an der Schwelle vom Knaben zum Mann aus, mit fein geschnittenen Gesichtszügen, die versprachen, dass er einmal sehr gut aussehend sein würde. Der Schwung seiner Nase und seines Kinns war beinahe feminin, was auf eine gewisse Schwäche hindeutete. Doch in ein, zwei Jahren, wenn sein sehniger Körper kräftiger wurde und seine breiten Schultern ihm eine beeindruckende Statur verliehen, würde genau dieser Hauch von Feminität Frauen dazu bringen, sich ihm hinzugeben, statt ihn zu fürchten – diesen rebellischen russisch-amerikanischen Milliardärssohn. Natürlich nur, wenn er nicht im Gefängnis saß. »Mein Vater hat Sie geschickt«, stellte er fest.
    »Eigentlich nicht«, widersprach ich. »Dein Vater hat mir Erlaubnis gegeben, dich zu besuchen. Ich arbeite für die Polizei von Nantucket.«
    Billy setzte sich auf und lächelte. »Er hat mir Ihren Namen gesagt, bevor ich zu Hause losgefahren bin«, sagte er. »Glauben Sie mir. Er hat Sie geschickt.«
    Der überhebliche Tonfall seiner Stimme erinnerte mich an Billy Fisk, den Teenager, den ich durch Selbstmord verloren hatte. Vor meinem geistigen Auge tauchte Fisk auf, wie er während seiner ersten Therapiestunde in meinem Büro auf und ab gegangen war und damit geprahlt hatte, was für eine große Nummer er auf der Straße wäre. Es brauchte Monate und mehr als fünfzig Therapiestunden, bis ich ihn so weit hatte, dass er die Harter-Kerl-Nummer aufgab und mit mir darüber redete, wie hart sein Leben gewesen war. Ich hätte die Dinge sogar noch langsamer angehen sollen, denn irgendwo entlang des Wegs auf der Reise in seinen Schmerz hatte ich ihn verloren. Ich schloss die Augen, während ich mich an den Anruf erinnerte, in dem mir mitgeteilt wurde, dass er sich erhängt hatte.
    »Sind Sie noch bei der Stange, Doc?«, fragte Billy.
    Ich öffnete die Augen. »Alles in Ordnung«, versicherte ich, während mein Blick auf Billys Unterarme fiel, die von verblichenen, willkürlichen Narben übersät waren. »Und vielleicht hast du Recht. Vielleicht hat mich dein Vater tatsächlich geschickt.« Ich zog den Stuhl unter dem Schreibtisch hervor, drehte ihn zum Bett und setzte mich.
    »Das hier könnte spaßig werden«, bemerkte er.
    »Ach ja? Warum?«, fragte ich.
    »Ich hab noch nie mit einem Polizei-Psychiater geredet, nur mit den ganz normalen.«
    »Und wie sind die so?«
    »Mossbergs. Alle miteinander«, antwortete er mit einem verächtlichen Lächeln – dem Lächeln seines Vaters. »Nette, weichherzige Leute, die sich sehr mächtig vorkommen, weil sie die Schlüssel zu ihren kleinen verriegelten Königreichen in der Hand halten. Ich hab all ihre Namen hier drin.« Er zeigte auf seinen Kopf, dann ahmte er mit seiner Faust, seinem Daumen und seinem Zeigefinger eine Pistole nach und zielte auf mich. Er tat so, als würde er den Hahn spannen, ehe er zwinkerte und seine Hand wieder sinken ließ.
    Ich hatte nicht vergessen, dass Billy gefährlich war, unabhängig davon, ob er Brooke nun ermordet hatte oder nicht. Das Feuerlegen und die Tierquälerei zeigten, dass er trunken von seiner eigenen Macht war – der Macht zu zerstören. Ich wollte ihn wissen lassen, dass ich mich nicht einschüchtern ließ. »Lass uns unsere Zeit nicht mit Drohungen vergeuden«, sagte ich, stand auf und ging zur Tür, wobei ich spürte, wie Billys Augen mir folgten. Ich schloss die Tür. Dann drehte ich mich um und sah ihm wieder ins Gesicht. »Ich weiß genau, wer und was du bist.«
    Er verdrehte die Augen. »Ein Hellseher
und
 überschlau.«
    »Ich weißüber das Gefühl in deinem Bauch Bescheid – die Leere.«
    »Um ehrlich zu sein, gab es heute Morgen ein üppiges Frühstück«, gab er zurück. »Zubereitet und serviert von unserer freundlichen Krankenhauskantine. Ich bin satt.«
    »Selbst wenn du Witze darüber reißt, das Gefühl ist da. Es ist immer da und nagt an dir«, sagte ich.
    Er wandte den Blick ab und legte den Kopf zur Seite. »Lassen Sie mich mal überlegen … zwei Spiegeleier, Bratkartoffeln …«
    »Manche Tage sind schlimmer als andere«, fuhr ich fort. »An manchen Tagen fühlst du dich so leer, dass es wehtut.«
    Er schenkte mir abermals dieses Bishop-Lächeln, schwieg jedoch.
    »Vielleicht ziehst du dir einen Joint

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