Infam
Hauptverdächtige ist, und zwar eindeutig.«
»Warum sollte er eine schriftliche Botschaft
und
eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter hinterlassen, in denen er zugibt, in das Haus eingebrochen zu sein, wenn er wusste, dass er dadurch mit einem weiteren Mord in Verbindung gebracht werden würde?«, gab ich zu bedenken.
Anderson zuckte mit den Schultern. »Wir haben es hier nicht mit einem normalen Jungen zu tun.«
»Nein«, pflichtete ich bei. »Wir haben es mit einem Soziopathen zu tun. Und die machen dir deine Arbeit gewöhnlich nicht so leicht, stimmt’s?«
»Ich sage ja nicht, dass du aufhören sollst herumzustochern«, erwiderte Anderson, »zumindest so weit Bishop dich lässt.«
»Er könnte Tess ebenso gut vergiftet haben wie alle anderen«, sagte ich. »Es ist durchaus möglich, dass er Billys Einbruch als den perfekten Deckmantel benutzt hat. Außerdem wüsste ich gerne, wann er damit angefangen hat, darüber zu entscheiden, wer hier welche Ermittlungen durchführt.«
Anderson erstarrte. »Fang bitte nicht wieder damit an, Frank. Ich nehme auf seine Rechte ebenso viel Rücksicht wie auf die von jedem anderen. Er ist nicht verpflichtet, dich mit ihm oder seiner Familie reden zu lassen, wenn er nicht will. Ich bin sicher, du findest einen Weg, ihn zu umgehen.«
»Toll«, sagte ich. »Urplötzlich bin ich auf mich selbst gestellt. Ich habe dich nicht gerade angebettelt, mich in diesen Fall hineinzuziehen, falls du dich noch daran erinnerst. Ich habe den Fall übernommen, weil du gesagt hast, du bräuchtest Hilfe.«
»Und die brauche ich noch immer.« Er zwinkerte. »Wir warten auf einen Hubschrauber vom Mass General. Tess wird zur Beobachtung und Behandlung auf die Intensivstation dort verlegt. Julia wird sie begleiten, nicht Darwin. Er kommt erst morgen nach.«
»Wenn ich also ein paar Fragen an Julia hätte, dann sollte ich mich so schnell wie möglich auf den Weg nach Boston machen«, sagte ich.
»Das halte ich für ratsam«, bestätigte Anderson. »Sobald Bishop in Boston landet, werde ich mich hier einmal mit Claire und Garret unterhalten. Sie war während der Beerdigung allein mit Tess im Haus, und er macht auf mich den Eindruck eines sehr wütenden jungen Mannes.«
»Kein schlechter Plan«, bemerkte ich.
»Dafür, dass er von jemandem kommt, der dich im Stich lässt.« Er ließ seinen Blick über den weitläufigen Rasen vor dem Krankenhaus schweifen. »Ich war wirklich bereit, Billy eine Chance zu geben. Er hat auf mich einfach nicht den Eindruck eines Mörders gemacht.« Er sah mich an. »Aber ich habe mich wohl getäuscht.«
»Vielleicht«, sagte ich. »Ich vielleicht auch. Aber mein Instinkt sagt mir, dass ich noch tiefer graben muss.«
»Dann solltest du …« Er stockte. »Dann sollten wir auch genau das tun.«
12
Während ich auf einen freien Platz auf der Fähre zurück nach Hyannis wartete, kamen drei Fähren mit einer Trooper-Mannschaft an, die North Anderson für die Fahndung nach Billy angefordert hatte. Mehr als zwanzig Mann fuhren in Streifenwagen, Geländefahrzeugen und Jeeps von der Rampe. Reporter von lokalen Sendern und einige Vertreter von überregionalen Stationen hatten dieselben Fähren genommen. Ich sah R. D. Sahl von den New England Cable News, Josh Resnek von der Independent News Group und Lisa Pierpont von
Chronicle TV,
die alle um Jeff Cooperman von
Dateline NBC
herumscharwenzelten. Am Himmel dröhnten nicht nur die üblichen Pendler-Flugzeuge, sondern auch mehrere Hubschrauber der State Police, die zweifellos dabei waren, die unzugänglichen Wälder und Seen und Preiselbeer-Gehölze zu überfliegen, aus denen sich das Nantucket-Moor, besser bekannt als »Commons«, zusammensetzt.
Schon an jedem x-beliebigen Tag Ende Juni herrscht kein Mangel an Berühmtheiten, die die Main Street entlangschlendern, doch die Bishop-Tragödie schien sich zu einem jener Ereignisse auf der Insel zu entwickeln, die noch für Generationen nachklingen würden. Leute, die praktisch nichts mehr beeindrucken konnte, wollten anscheinend an diesem Spektakel teilhaben. Vielleicht versuchten sie auch unbewusst, das Ganze in ein Spektakel zu verwandeln, dem Ereignis seinen Schrecken und die Tragik zu nehmen, um es zu einer Unterhaltungsshow zu verwässern, die problemlos auf den Bildschirm eines 70-cm-Fernsehers passte. Dort würde dann, unterlegt von einer Zehn-Sekunden-Schleife düsterer, computergenerierter Musik, die Einblendung prangen: »Säuglingsmord auf Nantucket. Der 4. Tag«.
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