Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
Vom Netzwerk:
nichts sehen. Du würdest dich nur verlesen. Oder dir die Augen verderben.«
    Sie fuhren an der Bucht entlang, keine Straßenleuchte brannte, und kein Auto kam entgegen. Nur von den Tankern und Flugzeugträgern fiel etwas Licht übers Wasser. Der Fahrer bremste immer wieder; überall saßen Menschen im Weg, rauchend und lachend. Die Revolution schien unterbrochen.
    »Hattest du den Brief die ganze Zeit bei dir?« fragte Kurt Lukas.
    »Ja.«
    »Und vorher befand er sich in einem an dich adressierten Umschlag, und du dachtest, Mayla habe dir geschrieben.«
    »Ja.«
    »Und warst dann enttäuscht, weil vermutlich nur ein paar Worte auf einem Stück Pappe für dich bestimmt waren.«
    »Ja.«
    »Und hast dich gefragt, was wohl in dem Brief steht, den du überbringen solltest.«
    Der Novize strich über das aufgerissene Papier, als könne noch ein Wunder geschehen.
    »Ja. Warum bist du nicht Detektiv geworden?«
    »Weil ich zu feige bin. Und was steht in dem Brief? Ich hoffe, du hast ihn wenigstens gründlich gelesen.«
    »Ich kenne jede Zeile. Sie hat dir vierzehn Seiten geschrieben. Und ein Foto dazugelegt. Das Foto, das Adaza gemacht hat. Von uns dreien.«
    Kurt Lukas nahm sich den Umschlag. Er zog das Foto heraus und hielt es in das schwache Licht. »Das ist ein Familienbild«, sagte er, »und kein Foto« und schenkte es Augustin. »Warum hast du den Brief nicht geschickter geöffnet?«
    »Es geschah ganz plötzlich, mit einem Zweig. Ich konnte nichts dagegen tun. Der Brief fiel heraus, und ich las ihn.« Augustin schob das Foto unter sein Hemd. »Ich habe ihn dann immer wieder gelesen. Und hätte ihn am liebsten beantwortet. Verachte mich. Schlag mich, wenn du willst, schmeiß mich aus dem Wagen.«
    Kurt Lukas stieß ihn in die Rippen. »Sag mir nur, was drinsteht.«
    »Sie liebt dich.«
    »Und was schreibt sie noch?«
    »Warum bist du nicht wütend auf mich?«
    »Das würde nichts ändern. Außerdem hätte ich es auch getan, wenn ich verliebt wäre.« Ein Kind streckte die Hand herein, Kurt Lukas gab ihm eine Münze. Weitere Kinderhände kamen, dazwischen ein Stumpf. Er wollte die Scheibe hochdrehen, sie klemmte. »Verliebt, ich, in wen?« fragte Augustin erschrocken. »In Mayla. Sonst hättest du ihren Brief nicht geöffnet.« Ein Schwarzwechsler kam ans Fenster, bot für einen Dollar sechzig Pesos, und schon waren an jedem Fenster zwei Köpfe; immer mehr Hände griffen in den Wagen, als sei er in der Gewalt eines vielarmigen Wesens. Einige der Aufgesprungenen bettelten, andere boten Waren an, Landkarten, Holzäffchen, Muscheln, Zigaretten, Adressen oder sich selbst. Der Weg wurde frei, der Fahrer gab Gas, und ein Arm nach dem anderen verschwand. Bald krallte sich nur noch ein Mann außen an und brüllte immer neue Angebote für seine Äffchen. Zehn Pesos, fünf Pesos, drei Pesos – drei Pesos für ein Holzäffchen! Kurt Lukas gab ihm drei Dollar und wies das Äffchen zurück, der Mann sprang ab. Er fiel hin und überschlug sich, kam auf die Beine und stand im Taghellen, blutend und dankend. Eine Leuchtrakete war über der Straße zerplatzt und streute ihr Licht auf Neubauruinen und verlassene Villen, auf faulende Schuppen und ganze Pflanzungen aus Wahlplakaten.
    Nach dem Verglühen der Rakete schien alles noch dunkler als vorher, und aus dieser Nacht tauchte hinter einer Erhebung der Mabini Palast auf. Eine glitzernde, Lärm und Dämpfe ausstoßende Festung, scheinbar unabhängig von Versorgungsnöten und politischen Umwälzungen mit ihren über hundert Tänzerinnen, mehr als dreißig Hinterräumen, vier Separatbühnen, zwei Magazinen, einem eigenen Generator und einer jedes Teilchen dieses Getriebes überblickenden Managerin. Kurt Lukas und der Novize kamen in einen brechend vollen Zuschauerraum. Kaum einer saß auf seinem Stuhl. Die einen hatten Koffer dabei, andere waren in Abendtoilette; viele trugen Sonnenbrillen. Zwischen den Tischen tanzten die Mädchen. Die Bühne gehörte Doña Elvira. Blumen flogen. Sektpfropfen knallten. Stuhlbeine brachen. Kurt Lukas zog seinen Schützling hinter sich her, mit der anderen Hand hielt er den Umschlag. Er drängte sich bis zum Bühnenrand und winkte nach oben.
    »Dachtest du etwa an sie?« fragte Augustin.
    »Keine Angst, ich brauche nur ihren Rat.«
    Doña Elvira verbeugte sich. Man warf ihr Geldscheine zu; in dieser Nacht beherrschte sie den Saal. Völlig durchnäßt trat sie ab, umarmte Kurt Lukas und sprach von Knappsacks Angebot, sie nach Hause zu bringen.

Weitere Kostenlose Bücher