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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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den Tisch, er füllte sie mit Reis. Andere Kinder mit kleineren Kindern im Arm kamen von draußen und sperrten ihre Münder auf wie junge Vögel. Er füllte sie mit Reis. Der Reis war billig. Von den zehn Dollar, die er sich für sein Abenteuer geliehen hatte, könnte er fünfzig Portionen bestellen. Augustin floh auf die Straße und sah jetzt mehr, als ihm lieb war. Er sah die Soldatenkolosse über Säuglinge steigen, Säuglinge, die auf dem Bordstein lagen und ihre Augen aufrissen, sobald die Menschentürme über ihnen erschienen; und er sah Blechdosen neben den Bündeln, Blechdosen mit Münzen darin und den Zettelchen Welcome Democracy . Er sah die ganze rot erhellte Pilar Straße als das, was sie war, eine Vorhölle, die weggefegt werden müßte, und lief nicht mit im großen Zug, sondern stand da und dachte an Sex.
    An diese Silbe mit ihrem grausamen X am Schluß. Wie oft hatte er sie in Nachtstunden vor sich hingeflüstert, ja, aufgeschrieben. Dieses kurze, abgesplitterte, ursprünglich bedeutend längere Wort, dieser gemeine Rest, der einem auch wie die Kante eines Abgrunds erschien. Eines Abgrunds, in den er vielleicht gleich hinabgelassen würde. Gab es etwas Wichtigeres? Augustin sah auf die Uhr. Zehn nach acht. Er kaufte sich eine einzelne Zigarette und rauchte sie so langsam, wie seine Aufregung es zuließ. Mit der Glut des Stummels würde er den Umschlag in Brand stecken, dieser Entschluß stand plötzlich fest. Maylas Liebesbrief würde zu Asche zerfallen, und sein Weg zu den Frauen wäre beendet. Ein für allemal. Der Novize spürte das ganze Gewicht seines Entschlusses. Er lief jetzt im Kreis. Die Zigarette schmeckte ihm nicht. Wie einem zum Tode Verurteilten wohl die letzte Zigarette nicht schmeckte; vermutlich war sein Entschluß falsch. Doch an irgend etwas mußte er sich halten. Noch drei Züge blieben ihm. Er saugte den Rauch in die Lunge, als wolle er sein verfehltes Leben verkürzen, und hustete wie Wilhelm Gussmann; jemand klopfte ihm auf den Rücken. Augustin fuhr herum, die Zigarette fiel zu Boden, vor seinen Augen schwankte alles; weich in den Knien, machte er einen kühnen Schritt auf die Treppe zu.
    »Aber doch nicht hier«, sagte Kurt Lukas. »Ich weiß, wer dir helfen kann. Komm.«

H ast du den Brief dabei?«
    »Ja.«
    »Dann gib ihn mir.«
    »In dieser Umgebung?«
    »Wir verschwinden ja schon.« Kurt Lukas wollte nicht streiten. Er wollte auch den Brief nicht auf der Stelle lesen. Nur haben wollte er ihn.
    Sie liefen gegen den Strom. Augustin streifte die Soldatenkolosse und stieg über die Bündel. Vor lauter Aufregung hielt er einen Vortrag über die Nordsüdkluft. Er wies auf Krüppel mit verknoteten Beinen hin, auf Mütter, die neben Hausmauern lagen, in beiden Augen den Star, auf Deutsche mit Herrentäschchen und weißen Socken und ein Quartett alter Nonnen, das die winzigen Zettel ausstreute. Auf drei Welten, die hier aneinander vorbeiglitten, Armut, Reichtum, Widerstand. Kurt Lukas hielt ein Taxi an. »Du redest zuviel. Spar deine Kräfte.«
    »Wo bringst du mich hin?«
    »Zum Mabini Palast.«
    Der Fahrer wollte zwanzig Dollar. Er sprach von verirrten Kugeln; achtzehn Dollar seien das mindeste. Kurt Lukas gab fünfzehn und verbot dem Novizen jede Beteiligung. »Ich bezahle dann auch die Frau«, sagte er. »Weil ich dich mag. Du hast Charakter.« Augustin protestierte. »Ein Mensch mit Charakter hätte den Brief gleich überbracht«, rief er und war drauf und dran, ein Geständnis abzulegen, als im ganzen Viertel der Strom ausfiel. Es wurde still und dunkel. Der Fahrer wollte einen Zuschlag. Acht Dollar. Eine Fahrt bei Stromausfall sei wie ein Kriegseinsatz, und erst recht in dieser Nacht. Er deutete zum Himmel. »Über den Präsidentengärten kreisen Hubschrauber. Flieht der Präsident, kommt die Anarchie. Sechs Dollar.« Sie einigten sich auf viereinhalb. »Ich habe Angst«, sagte Augustin. Kurt Lukas legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ich habe auch noch keine Anarchie erlebt. Aber bei vier Dollar und fünfzig Cent kann es nicht schlimm werden.«
    »Nicht davor habe ich Angst.«
    » Wovor dann? Vor der Frau? Sie wird dir behilflich sein. Es gibt nur eine Krise, durch die du allein mußt. Wenn es sich zu früh ankündigen sollte. Dann mußt du rasch an etwas anderes denken.«
    »Woran?«
    »Denk an Father Horgan. Oder an mich. Oder an deine Eltern. Und jetzt will ich den Brief.«
    Augustin knöpfte sein Hemd auf. Er holte den Umschlag hervor. »Aber du kannst im Moment gar

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