Infanta (German Edition)
wie den meisten Frauen bei uns steht ihr der Glaube nicht im Weg. Und Mayla ist ein guter Mensch, auch wenn ich nicht sagen könnte, was das ist. Ich denke, sie gibt etwa so viel, wie sie nimmt, das scheint mir schon recht gut zu sein. Besonders gut ist sie zu alten Männern. Eine freigebige Heilige, Madam.«
»War Kurt etwa eifersüchtig?«
»Machen Sie sich keine Hoffnungen.«
»Heißt das, er liebt sie?«
»Was sonst. Und er ist der einzige in ganz Infanta, der es noch nicht weiß. Werden Sie um ihn kämpfen?«
Elisabeth Ruggeri stand auf. »Ich kenne ihn kaum, wir leben nicht zusammen; nein, mich interessiert seine Geschichte. Ich glaube, in seinem Leben war so eine Geschichte nicht vorgesehen.«
Der Junge erwachte, geräuschlos hantierte er. Wie durch Zauberei hielt er auf einmal einen kleinen Fernseher in den Armen. Er stellte ihn an und bewegte sanft die Antenne, und das Bild wurde scharf. Ein Boxkampf, verlangsamt. Der größte Boxerfilm aller Zeiten, hieß es, ab morgen im Kino. »Jun-Jun, wir haben Besuch«, sagte Doña Elvira, und der Junge lächelte über ein blasses, wie aus Wachs gebildetes Gesicht.
Elisabeth Ruggeri betrachtete ihn. »Wie ist dein richtiger Name?«
»Jun-Jun, Madam. Und das ist mein Fernseher.« Er stellte den Ton lauter. Die Werbung war vorüber, der Präsident erschien. Auf seine Frau gestützt, begrüßte er einige Offiziere und erinnerte an ein Kind, das die Erwachsenen nachmacht; seine Frau weinte. Mit dünner Stimme teilte er mit, daß er für sein Land zu sterben bereit sei, und küßte die Landesfahne. Dann sang seine Frau die Nationalhymne, und Doña Elvira begann zu packen. Sie räumte ihre verstreuten Tuben und Näpfchen zusammen, ihre Quasten und Kämme, ihre Pinsel und Stifte, die Flakons und den unechten Schmuck. »Heute nacht«, sagte sie, »geschieht noch ein Unglück. Immer wenn diese Person in der Öffentlichkeit unsere Hymne sang, geschah entweder ein Unglück, oder es stand eins bevor. Das Gesetz der Oper, Madam.«
Elisabeth Ruggeri steckte ihr Heft ein. Sie suchte die Tür. »Ich muß jetzt gehen, ich ersticke.«
Doña Elvira gab ihr noch etwas Klopapier mit auf den Weg. »Ich begleite Sie nach draußen, der Mabini Palast ist ein Labyrinth.« Sie führte Elisabeth Ruggeri über die Hinterbühne in den noch dunklen Zuschauerraum. »Sollten Sie vorhaben, heute abend noch einmal zu kommen, rate ich Ihnen ab. Das Volk mag dieses Haus nicht. Aber wir werden uns wiedersehen, ich bin sicher.« Sie öffnete die Vordertür, und ihr Morgenmantel flatterte; warme Böen bliesen von der Bucht und brachten den Gestank nach Fischmehl und Aas. Am Horizont war noch ein Streifen Abendrot. »Leben Sie wohl, Madam, ich erwarte Ihren Besuch in Infanta. Gehen Sie dort einfach der lautesten Musik nach, und Sie werden mich nicht verfehlen.« Doña Elvira wartete keine Antwort ab. Sie spuckte gegen den Wind und zog sich zurück.
Das letzte Tageslicht wich der Nacht, die Böen ließen nach. Kleine entwurzelte Büsche kollerten über das Brachland vor dem Mabini Palast. Elisabeth Ruggeri war der einzige Mensch weit und breit, umschlichen von Hunden; sie machte ein paar Schritte. Es ging leicht bergab auf die frühere Prachtstraße zu, Lärm und Gestank entgegen. Der ganze Abendverkehr – Sammeltaxis, Lastwagen, Autos, Dreiräder, Mopeds – toste in die Innenstadt. Kurt Lukas’ Geliebte blieb stehen – und winzige handbeschriebene Zettel taumelten durch die Luft, Welcome Democracy .
Wie rätselhafte Schneeflocken rieselten die kleinen Zettel – sie waren kaum größer als Briefmarken – bald auf jeden Ort, an dem die Revolution leicht übersehen werden konnte; die meisten legten sich auf das Vergnügungsviertel, und zu den ersten, die die Botschaft lasen, zählte der Novize. Er stand vor dem Blue Angel Dampfbad.
Augustin glühte. Wie lange hatte er auf diese Stunde gewartet. Mit dreizehn war der Mann in ihm erwacht, jetzt war er dreiundzwanzig. Ein Jahrzehnt. Tausende von Tagen, Tausende von Malen. Eine Ewigkeit, die nun zu Ende gehen sollte. Falls er nicht vorher tot umfiel vor Aufregung. Oder im Boden versank vor Scham. Oder vom Amüsierbetrieb einfach aufgesaugt wurde. Die Pilar Road war wie an jedem Abend ein enger Korridor voller Menschen, Licht und Lärm, über dem die Schwaden aus Garküchen, Auspuffen und Dampfbädern hingen. Doch an diesem Abend war sie auch der Weg zu den Palästen; ein führerloser Zug schob sich singend durch das Nachtviertel. Die halbe Stadt
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