Infanta (German Edition)
glaubte sie immer noch, daß ihr Geliebter zurückkäme. Obwohl viel dagegen sprach – bewegte Wochen waren verstrichen. Das Grab der Liebe waren die Zeiten, nicht die Zeit. Die Zeit unterlag der Liebe, sie wurde von ihr gedehnt, verkürzt, übergangen, verspottet. Aber die Zeiten ließen aus einer Trennung von Tagen Monate werden. Mayla ging davon aus, daß ihn ihr Brief erreicht hatte, daraus schöpfte sie Hoffnung. Und hoffe du auch, sagte sie bei ihrem letzten Besuch. Eine unnötige Aufforderung. Denn er fieberte Kurt Lukas’ Rückkehr geradezu entgegen: Er wollte ihm den Laden vermachen. Den Laden, die Hütte und die Vorkriegsbücher, seine zwei Bierhumpen und eventuell die Flasche alten Weins. Flores wollte nur etwas Geschirr, Bettwäsche und das Radio; seine Ersparnisse mußte er ihr schon aufzwingen. Wilhelm Gussmann hoffte auf einen Erben.
Er sah zum Fenster. Es war schon fast dunkel. Mayla kam nie vor neun. Also in drei Stunden. Frühestens. Manchmal kam sie auch erst gegen zehn, wenn sie den Bischof auf einer Überlandfahrt begleitet hatte. Sie war ausgesprochen tüchtig. Und sah und hörte alles. Jeder Vorgang im Ort schien durch ihr kleines Büro zu gehen, wie von selbst erfuhr Mayla Intimes. Narciso bangte um seinen Posten; er hatte sich ein Bild der Tapferen Witwe auf den Schreibtisch gestellt. Und sie wußte auch, daß über seine Absetzung nachgedacht wurde. Und um so etwas ging es dann während ihrer Besuche, um Lokalpolitik. Sogar während der Waschung fing Mayla damit an. Die Bürgermeister auf der Insel müssen endlich Auskunft geben über ihre Nebeneinnahmen, sagte sie, und er ließ sich auch noch in eine Unterhaltung über Reformfragen hineinziehen, nur um ihr nicht mit seinem Schweigen zu verraten, wie sehr diese Minute ihn mitnahm, wie sehr er sich nach einer einzigen nicht der Reinigung dienenden Berührung sehnte, die er dann erwidern dürfte, mit der gleichen unendlichen Sanftheit. Wenn so die Hölle war, hielt er sich schon in ihr auf. Nein, er konnte die mildernden Umstände der Sakramente entbehren. Wer so durch die Liebe geschleift wurde, sah im Sterben einen Spaziergang. Wilhelm Gussmann drehte sich zur Wand. »Mich hungert«, murmelte er in seinem vereinsamten Deutsch und sank in einen Fieberschlaf, während die unverkennbaren Geräusche von Plattenkratzern über den Ort tönten.
Ferdinands Herrlichkeit war zu Ende. Doña Elvira war heimgekehrt. Im Ventilatorwind, den erbeuteten falschen Nerz um die Schultern, begrüßte sie ihr Publikum mit einem alten Lied – Du schaust mich an und lächelst. Knappsack hatte für sie auf eine seiner Geheimzahlen gedrückt. Er, Kurt Lukas und die Sängerin waren eine Woche auf Cebu gewesen. »Wir brauchen alle etwas Abstand«, hatte Doña Elvira im Flugzeug erklärt und aus einer noblen Laune heraus den angekündigten Urlaub bezahlt. Per Bus waren sie in ein Kaff an der Meerenge zwischen Cebu und Negros gefahren und hatten eine Fischerhütte gemietet. Es gab dort keine Zeitungen, und Kurt Lukas erfuhr nichts vom Erfolg seiner Pacificador-Rolle, die kurz hinter dem Flughafen mit dem Wegwerfen der Zigarre geendet hatte. Es gab dort auch keinen Strom und keine Fremden. Es gab nur das lauwarme Meer und eine gewisse Angst vor Haien, das ewig wolkenverhangene Negros und einen unberührten Strand mit toten Bäumen, gleichgültigen Schildkröten und wandernden Lagunen; abends gab es gebratene Fische, reichlich Bier und reinen unbegleiteten Gesang. Von Anfang an war ihnen die seltene Balance zwischen zwei Männern und einer Frau geglückt, die allen dreien das Gefühl gab, ewig so weiterleben zu können. »Aber Infanta braucht mich jetzt«, hatte Doña Elvira schließlich bemerkt und war einen Tag später mit besten Vorsätzen auf ihre Bühne gegangen; an diesem Abend ließ sie jeden spüren, daß mit der gottgefälligen Person an der Spitze des Landes nicht etwa auch neue Zeiten für die Bude anbrächen. In ihrer Stimme lag die ganze von sieben Strandtagen mit ihrer versteckten Langeweile und sieben meerumrauschten Nächten mit ihren verschleppten Gedanken angestaute Geilheit. Wie vor dem Erwerb der Rhythmusmaschine übertönte sie wieder die Musiktruhe. Es konnte ihr gar nicht laut genug knacken und knistern, wenn die alten Lieder anliefen; denn mit ihrem unergründlichen Musiksinn ahnte Doña Elvira, daß kaum etwas mehr zum Ruhme der Bude beitrug als diese unzeitgemäßen Plattenkratzer, die über eine unzeitgemäße Nadel und einen unzeitgemäßen
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