Infanta (German Edition)
Verstärker aus himmelschreienden Lautsprechern krachten.
Jede dieser Salven verwandelte sich in Wilhelm Gussmanns fiebrigem Kopf zu einem fortgesetzten Alptraum von seiner eigenen Erschießung durch ein Kommando aus fünf Nonnen unter dem Befehl von Father Gregorio. Der frühere Priester sah sich an einem Pfahl, der vor seinem Laden aufgestellt war. Trotz der schwarzen Binde, die man ihm um die Augen gelegt hatte, erkannte er alles. Die Gesichter der Nonnen waren die seiner einstigen Mitbrüder. McEllis und Butterworth schauten ihn unbewegt an. Dalla Rosa schien an ihm vorbeizublicken. Horgan liefen zwei Tränen. Pacquin hatte völlig erloschene Augen. Sie waren es und waren es nicht. Gussmann sah sich einem Erschießungskommando aus Zwittern gegenüber; nur Gregorio besaß etwas Männliches. Er stand einige Schritte neben den fünfen, im ochsenblutroten Rock eines Kardinals, und gab mit einem Weihwedel das Zeichen zum erneuten Anlegen der Gewehre. Die Erschießung wurde laufend wiederholt, bis sich McEllis die Pfeife ansteckte. West-Virginia haben wir besser zu Hause gelassen, erklärte er, und Gussmann versuchte, seine Fesseln zu lösen; er war wie stumm mit gebundenen Händen. Was glaubt ihr von mir, wollte er rufen. Glaubt ihr, ich schrecke nicht einmal vor einer Hündin zurück? Und sie schwiegen und zielten auf ihn, Feuer frei, befahl Gregorio. Der frühere Priester hörte das Krachen der Salve und begriff, daß er immer noch lebte, und sah sich nicht mehr an dem Pfahl, sondern auf seinem Lager, nur mit der Namensseite bedeckt. Und wieder die fünf, wieder die Blicke, und das Zeitungsblatt rutschte. Er wollte es festhalten, doch die Hände gehorchten ihm nicht. Sein Geschlecht kam zum Vorschein, und allen fünfen klappten für einen Augenblick die Lider herunter wie bei Schlafpuppen, wenn man sie legt. Seht da nicht hin, rief Gussmann, seht da nicht hin – und konnte endlich die Hände bewegen. Er griff nach der Zeitung und wollte seine Blöße verhüllen, ein aussichtsloses Bemühen. Das Blatt wurde immer kleiner, während das Glied immer größer wurde und die fünf immer näher kamen. Wilhelm Gussmann schüttelte den Kopf und erwachte, jemand wich vor ihm zurück, er sah ein bekanntes Gesicht. Und mit den Zähnen klappernd vor eisigem Schweiß, fragte er, »Wer ist Elisabetta Ruggeri?«
Kurt Lukas wich bis an den Tisch zurück. Den einen verließ die Angst, den anderen ergriff sie. Er wollte Eine Bekannte sagen, doch Gussmann fiel ihm ins Wort. Sie hätten versucht, ihn zu erschießen, die Brüder, den alten Bock einfach hinzurichten. »Aber ich lebe noch«, stellte er fest und wiederholte seine Frage, »Wer ist Frau Ruggeri?« Kurt Lukas ging zum Spülstein und kühlte sich Wangen und Arme. Er hatte Sonnenbrand. »Was für eine Hinrichtung?« Wilhelm Gussmann stemmte sich auf. »Das erfährst du noch, wir haben die ganze Nacht Zeit. Also, wer ist sie, mein Werter? Natürlich eine Geliebte . . .« Er bekam einen Hustenanfall. »Sie ist Journalistin«, rief Kurt Lukas, »sie lebt in Rom.« Und er erzählte von einer Elisabeth Ruggeri, die er etwas älter, etwas erfolgreicher und etwas unsympathischer machte, als sie es war. »Woher hast du überhaupt den Namen?« Gussmann deutete auf das Zeitungsblatt. Hustend sagte er, »Und nun komm wieder näher, setz dich. Warum bist du hier? Um meine Gestalt zu sehen? Da wärst du lieber bei der Dame von fünfzig geblieben. Als ich fünfzig war, schwärmten noch alle Gemeindeschwestern für mich.« Kurt Lukas trat vor das Lager. »Die Leute sagen, du liegst im Sterben. In der Bude spricht man schon von deiner Beerdigung. Aber ich sehe, du lebst.« Der frühere Priester lachte. Seine Wangen flatterten, die Augen verschwanden. »Und was hast du noch gehört?«
»Ich erhielt einen Brief. Mayla schrieb mir, sie habe an deiner Seite gelegen. War es schön?«
Gussmann boxte sich in die Hand. »Schön? Unbeschreiblich!« Die Zeitungsseite rutschte, sie rutschte wie im Traum, er konnte sie nicht halten. Er entschuldigte sich. Er weinte. »Hast du Mayla schon gesehen?« fragte er.
»Ich bin erst eine Stunde hier. Ich kam mit Doña Elvira. In der Bude traf ich Hazel. Von ihr erfuhr ich, wo Mayla heute abend zu finden sei. Bei Father Gussmann, sagte sie, ein Krankenbesuch. Und da dachte ich, ich könnte bei dir auf sie warten. Wenn ich nicht störe.«
»Du störst uns nicht. Sie wäscht mich, mußt du wissen. Aber das dauert nur eine Minute. Und sie wäscht mir auch nur das
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