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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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Gesicht, allerdings mit bloßen Händen.« Gussmanns Zähne klapperten wieder. »Deck mich zu«, sagte er. »Irgendwo muß hier ein Tuch liegen. Deck mich damit zu. Und später zieh es mir über den Kopf.« Kurt Lukas fand das Tuch, er deckte den mageren Körper zu und erkundigte sich nach Flores. Gussmann erklärte ihm, wo sie war. »Eine Frauengruppe. Gott sei Dank, daß es jetzt so etwas gibt. Man nimmt mir Arbeit ab. Ich kann Flores nicht mehr zuhören. Sie kann mir auch nicht mehr zuhören. Und wir haben uns immer das eine oder andere erzählt. Ich habe Flores geliebt. Sie ist gut und steht auf der Erde. Als ich sie zum ersten Mal sah, kam sie vom Einkaufen« – er deutete nach draußen –, »Flores ging hier vorbei, ich schaute ihr nach« – er lächelte –, »ihr Gang bewies mir leicht, daß sie keine namhafte Tanzschule besucht hatte. Kierkegaard, sein Buch ist mir leider entwendet worden. Flores und ich kamen dann ohne viel Worte zusammen, und innerhalb dieser Hütte entfernten wir uns auch wieder ohne viel Worte. Wir haben keinen Verkehr mehr. Wir streicheln uns nur noch die Hände. Alles übrige verödet. Und darum darfst du Mayla ihre schwache Stunde nicht vorwerfen. Sie hat sich aus Güte zu mir gelegt. Sie hat sich erbarmt.« Er machte eine Pause. Dann sagte er, »Ich würde heute nacht gern sterben.«
    »Sterben? Nein, nein, nein, bitte nicht«, rief Kurt Lukas und fragte den früheren Priester, ob er an ein höheres Wesen glaube, und wollte von der Rettung aus dem Feuer erzählen, weiter und weiter reden, damit es nicht still werde im Raum, doch bekam eine Antwort. »Ja«, flüsterte Gussmann, »aber du mußt schon Gott sagen. Es gibt kein anderes Wort für Gott als Gott; sie taugen alle nichts. Mittelmäßige Philosophen verwenden sie. Oder Möchtegernliteraten. Ein Butterworth in seiner New Yorker Zeit – erzählte mir Horgan. Er sei bleich wie ein Laken durch das Village gestrichen und habe sich mit jüdischen Schriftstellern angelegt.« Gussmann machte wieder eine Pause und sprach dann, als sei er in Eile.
    »Paß jetzt gut auf. Meine Angelegenheiten sind geordnet. Das Geld für Grube und Sarg ist bezahlt. Der Laden und die Hütte sind unbelastet. Ich vererbe dir beides. Samt Inventar, bis auf Kleinigkeiten, die Flores bekommt. Sie möchte nicht mehr. Du bekommst die Heftchen und meine Bücher. Lies sie. Und lasse dich nicht von Dalla Rosa überreden, sie der Stationsbibliothek zu stiften. Achte auf deinen Besitz, investiere mit Verstand; erweitere den Laden behutsam. Biete Getränke und brauchbare Romane an. Kümmere dich um Werbung. Sorge für gemischtes Publikum. Erwirb einige Kissen. Achte auf verträgliches Licht. Gewähre nur Kleinkredite. Wechsle das Schild auf dem Dach. Nenne den Laden anders. Von mir aus mach nichts, wie ich es gemacht habe, nur halte mein Ansehen hoch.« In seinen Augen blitzte ein Lächeln. »Sei mein Erbe.« Wilhelm Gussmann schwieg. Doña Elvira sang. Ein leichtes Blätterrauschen mischte sich in ihr Lied.
    »Aber ich lebe in Rom«, sagte Kurt Lukas.
    »Werter, ich habe auch schon woanders gelebt. Mehrmals sogar.«
    Das Rauschen wurde stärker; Tropfen fielen auf das Blechdach. Kurt Lukas ging mit großen Schritten auf und ab.
    »Natürlich danke ich dir für das Vertrauen.«
    »Nichts für ungut. Du sagst also zu.« Gussmann richtete sich noch einmal auf. »Ich hinterlasse nur diesen Laden und die Dinge, die ich genannt habe. Was soll ich denn sagen am Schluß? Alles vergebens? Soll ich das sagen? Also sage mir, daß du annimmst.«
    Kurt Lukas setzte sich neben das Lager. »Vielleicht.«
    »Was heißt vielleicht? Infanta ist kein Spielplatz; du mußt den Laden übernehmen und mußt Mayla dann heiraten. Sie liebt dich nicht, weil es dich gibt, sondern weil es sie gibt. Und sie will Kinder.«
    »Ich glaube nicht, daß sie das will«
    Der frühere Priester lachte ihn aus.
    »Man hat hier noch nie von einer Frau gehört, die nicht Kinder wollte.«
    »Ich werde Mayla mit nach Rom nehmen.«
    Wilhelm Gussmann packte Kurt Lukas, er zog ihn zu sich herunter – sie rangen für Momente –, weiß im Gesicht und atemlos rief er: »Du kannst Mayla mitnehmen, nur wird sie in Rom nicht froh werden. Und du kannst hierbleiben, nur wird dir hier stets etwas fehlen. Und du kannst mal hier und mal dort sein, nur bist du dann nirgends. Es gibt keine Nord-Süd-Passage. Ich habe sie vierzig Jahre lang gesucht.« Er sank zurück und schloß die Augen.
    Kurt Lukas fühlte ihm den Puls.

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