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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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Sonderkartei. Arbeit gab es auch dort; und natürlich hatte sie schon Ideen, womit sie ihn paaren könnte. In näherer Zukunft englische Konfektion, Kräuterlikör, Mineralwasser. Später Bäderkuren, Zahnersatz. Beatrice kannte da nichts. Er drehte Mayla auf den Bauch. »Sprich mit mir«, sagte sie, aber er konnte nur schauen. Sie erschien ihm als gültiges Bild. Er bückte sich und küßte lange die Mitte des Bildes. Ihr Dank war ein unergründlicher Laut.
    Eine viertel Stunde blieb ihnen anschließend noch. Mayla bestand darauf zu gehen, solange noch Leben herrsche im Ort. Es sehe dann so aus, als hätten sie nur ausgedehnt zu Abend gegessen. »Das wird in Rom alles besser«, sagte er. Sie rauchte eine Zigarette an, drückte sie aus und warf sie weit in den Hof. »Warum gehst du nicht allein nach Rom? Und kommst mit etwas Geld zurück. Deinem Polster. Ohne das müßte ich täglich für deinen Laden beten. Daß er Gewinn macht. Du mußt mich verstehen; wenn du mich verstehst, wirst du auch merken, daß ich nicht um jeden Preis heiraten will.« Mayla bürstete ihr Haar. Kurt Lukas sah das Kreuz an ihrem Kettchen schaukeln – nichts trennte sie mehr als dieser praktische Gott, den man um Profit bitten konnte. »Entweder verstehe ich dich, oder ich liebe dich«, rief er. »Du kannst wählen. Nur warte damit, bis wir in Rom sind. Die Stadt wird dir liegen; und ich lebe dort im Grunde nicht anders als du in Infanta. Zur Miete, gehobene Mittelklasse, bloß ohne deine Popularität.« Mayla befreite ihre Hand und trat in den Hof. »Vergleiche nie wieder dein Leben mit meinem.« Sie umarmte ihn zum Abschied; seine Begleitung lehnte sie ab.
    »Dann paß gut auf dich auf«, sagte er.
    Mayla drehte sich noch einmal um.
    »Warum lernst du nicht unsere Sprache?«
    »Sie ist mir zu schwer.«
    »Jeden Tag ein Wort. Die Grammatik ist einfach.«
    »Wie heißt euer Wort für Leben?«
    »Kinabuhi.«
    »Das ist ja ein Satz.«
    »Unser Wort für Tod ist kürzer.«
    »Morgen. Eins am Tag, hast du gesagt.« Er zog sie an sich und sprach in ihr Haar. »Das bequemste Land für Hochzeiten ist Italien. Du brauchst nur eine einzige kleine Silbe zu kennen. Ein hingehauchtes Si, und schon bist du verheiratet.« Mayla berührte seine Lippen und ging.
    Kurt Lukas lag wach. Es war jetzt nur noch still und heiß. Doña Elvira hatte ihr Schlußlied gesungen. Nun sollte man schlafen. Doch er ärgerte sich. Was hätten sie nicht alles tun können von Mai bis September. Und den April für Pläne und Vorfreude nutzen. Diesen widerwärtigen römischen April mit Regen und Kälteeinbrüchen. Einen ganzen saumäßigen Monat hätten sie, Pläne schmiedend, in ein Stückchen Sommer verwandelt. Aber Mayla war ja zu beschäftigt. Und er wäre es auch bald, wenn er nicht aufpaßte; morgen kam der Grossist. Wie immer gegen Mittag, damit sich ein Geschäftsessen ergab. Lazarus. Sie hießen ja hier alle seltsam; vielleicht sollte er sich umnennen. Kurt Lukas dachte sich Namen aus. So versuchte er einzuschlafen, vergebens. Er war hoffnungslos wach. Maylas Nimm doch vom Reis hatte ihn erschreckt wie eine Diagnose.
    Abend für Abend käme diese Aufforderung, wenn er appetitlos wäre. Und an Feiertagen käme die Verwandtschaft. Er sah das alles auf sich zukommen. Durch eine üppige Hochzeit ermuntert, erscheinen die Verwandten immer wieder. Etwa sechzig, ohne Kinder, sagte Mayla. Auch günstig über das Jahr verteilt, ein steter Strom an jedem Wochenende. Und bei besonderen Anlässen kommt es zu größeren Treffen; immer entferntere Verwandte stoßen dazu. Und dabei hatten schon gewöhnliche Familienzusammenkünfte für ihn oft übermenschliche Prüfungen dargestellt und waren Ursache einer Umwälzung seines ganzen Befindens gewesen. Die einzigen Pickel seiner Jugend waren während der christlichen Feste gewachsen. Der erweiterte Familienkreis hatte zu kleinen Vorführungen gedrängt. Zeig uns, was du beim Turnen gelernt hast. Die Schwester seiner Mutter, die Eltern seines Vaters, sie alle hatten zugesehen, wie er vor dem letzten Gang, wenn die Miseren auf den Tisch kamen, das Rad schlug. Er war von Familie umgeben gewesen wie ein Sänger von Claqueuren. Bis er gleichsam die Stimme verlor, indem er die Schule abbrach. Tante, Onkel, Oma, Opa, Vater, Mutter, all das hatte für ihn immer noch hohlen Klang, und es würde einem Wunder gleichkommen, wenn es je einen Menschen gäbe, der einfach Papa zu ihm sagte und als Antwort ein Ja hörte.
    Kurt Lukas fand keinen Schlaf.

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