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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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nicht fragen, was daraus wird. Versprich mir das. Und Ihr dürft Euch auch nicht fragen, wem Ihr damit weh tut (immer nur dem, der es weiß) oder was für Gelübde ihr brecht. Versprich mir das. Nehmt Euch einfach die Möglichkeit, weil ich sie Euch biete. Wenn Ihr beide nur die leiseste Hoffnung habt, daß Ihr zehn glückliche Tage erleben könnt, dann müßt Ihr Euch über alles hinwegsetzen. Über jede Rücksicht, über jede Angst, über alle Bedenken. Nur dieses eine Mal in Eurem Leben. Kurt.«
    Er zerriß den Brief, er lief in den Hof, er tauchte sein Gesicht in Wasser. Er zitterte von Kopf bis Fuß.

W as ist eine Geschichte? Wie erzählt man? Wer spricht? Es gab so viele Fragen. Bewältigung der Zeit. Bedeutung von Namen. Führung des Helden. Fluß der Sprache, Gesetze der Sprache; durfte man sie beugen, brechen? Und durfte man erfinden, lügen? Schalten und walten mit seinen Figuren? Das alles war zu bedenken, wenn man vom Schreiben keine verwegene Auffassung hatte. Butterworth lag wach. Die bevorstehende Rückkehr Gregorios – er sollte schon in zwei Tagen eintreffen – ließ ihn nicht schlafen. Und wie immer nutzte er das Wachliegen, um sich Gedanken zu machen; sein Traum vom Alterswerk hatte Gestalt angenommen. Eine Kartei der Hauptpersonen war im Entstehen. Der Umriß eines Handlungsplans lag vor. Die Recherche kam voran. McEllis hatte zum ersten Mal über das Anwerben von Mister Kurt gesprochen. Gussmanns denkwürdiger Traum war rekonstruiert. Dazu kamen das Porträt-Papier und eine unerwartet wieder aufgetauchte Vorarbeit. Sein langer Brief an Gregorio, zwanzig eng beschriebene Seiten, war an ihn zurückgegangen, da der Adressat sein römisches Exil bereits verlassen hatte. Hinsichtlich Gregorios Informationsstand ein mittleres Desaster, aus anderer Sicht ein Glücksfall; sorgfältig abgetippt und an einigen Stellen ergänzt und verbessert, bildete diese Chronik den Grundstück für einen Zettelkasten mit der Aufschrift opus primum et ultimum.
    Doch der bleiche Priester verließ sich nicht auf Zufall und Glück. Er hatte Anfänge studiert. Es geschah an einem Sommermorgen vor fast hundert Jahren in der Stadt Brownsville, nahe der Mündung des Rio Grande in den Golf von Mexiko. Oder: Im Spätherbst des Jahres 1938 befand ich mich auf einem Höhepunkt von Weltschmerz. Oder: Für eure Wißbegier, denke ich, bin ich ganz gut gewappnet. Aber auch: Lena sitzt am Straßenrand. Jeder Anfang konnte groß sein; das hing wohl davon ab, was folgte. Von der Theorie, im ersten Satz eines Buchs müsse der Kern des Ganzen aufblitzen, hielt er wenig. So etwas führte nur zu Gewolltem. Es sei denn, es gelänge auf leichte Weise. Denn dessen war er sich sicher, Großes kam nie durch Knechtung zustande. Das Buch, das ihm vorschwebte, mußte sich von selbst ergeben. Wenn es am Schluß ein Roman wäre – bitte. Doch dies war Theorie. In der Praxis floß Schweiß; wie auf Befehl sammelte, archivierte und schrieb er seit der Rückkehr des früheren Gastes, als habe er sein Leben lang auf eine übersichtliche Dreiecksgeschichte gewartet. Hausgemeinschaft alter Priester, junge Anvertraute und Fremder. Sein Stoff kam spät. Er mußte sich eilen, wenn er ihn umsetzen wollte.
    Vieraugengespräche mit Mister Kurt wären die Bedingung. Wer seine Helden nicht kannte, sollte nicht schreiben. Er würde ihn treffen und stellen. Und dann käme es auf Fragen an. Wann endete Ihre Jugend? Wodurch wurden Sie erwachsen; glauben Sie, daß Sie den Zustand beibehalten können. Wenn ja, was macht Sie sicher. Ferner: Möchten Sie Kinder? Wenn nein, was ersetzt Ihnen Tochter und Sohn. Nebenbei: Dreißig Tage Regen, was würden Sie tun? Schließlich: Wie bereiten Sie sich auf Ihr Sterben vor. – Beim zweiten Gespräch entschiede dann eher der Ton. Setzen Sie sich doch, was macht das Heftchengeschäft? Sind Sie solvent? Sie wissen, daß Sie nur Vereinfachungen anbieten; weil Sie selbst ein Vereinfacher sind? Ein einfacher Verführer – überzeugen Sie mich vom Gegenteil, Mister Kurt, erzählen Sie von Ihrer Beziehung zu Mayla. Wann genau setzte die gegenseitige Liebe ein und wie? Schleichend? Oder als Offenbarung? Oder bedrängen Sie meine Fragen, heraus mit der Sprache! Hier wäre nur mit mattem Widerspruch zu rechnen, und nun könnte es Schlag auf Schlag weitergehen, dabei auch persönlicher werden – Kommen wir auf Ihre erste Nacht, ergaben sich die Dinge? Kam es zu Mißverständnissen dabei? Besinne dich – plötzlich, ohne Übergang, käme

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