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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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das Du, vielleicht etwas hinterrücks, aber wie sonst – und dann schon wieder weitere Fragen, um die Schlinge fester zu ziehen. Fragen zum Rausch, jenen Sekunden, derentwegen so viel Aufhebens gemacht wurde – auch dafür, Guter, gibt es Worte, auch für das Unsagbare, auf die Grammatik lege ich in dem besonderen Fall keinen Wert. Und höre, Lukas – wie einen Schüler sollte er ihn in dieser Gesprächsphase herannehmen –, jedes deiner Worte bleibt selbstverständlich bei mir.
    Das entsprach der Wahrheit. Butterworth hatte nicht vor, sein Buch zu veröffentlichen oder auch nur in Dalla Rosas Bibliothek einzureihen. Nein, es würde ihm genügen, wenn innerhalb, vielleicht auch außerhalb des Ordens die Existenz eines von ihm verfaßten Werks bekannt wäre, das Menschliche betreffend, und Mutmaßungen über Gattung und Inhalt angestellt würden, die er dann von Infanta aus dementieren könnte; oder nicht. Denkbar allerdings, daß hier und da ein Auszug auftauchte . . . Aber noch war er bei der Recherche.
    Fragen also. Natürlich auch solche zum Lebenslauf, Sohn welcher Eltern, wo geboren, Schulbildung, Werdegang; eine Seite mochte da reichen. Die Vertiefung erst beim Lebensknick. Dann wurdest du also Modell, Lukas, im Grunde ein altes Gewerbe. Ich weiß nicht, wie fest du im Griechischen bist, die Modelle waren damals Athleten. Was sind sie heute, gescheiterte Künstler? Während meines römischen Studienjahrs sah ich deinesgleichen immer an der Piazza Navona. Die Schnellzeichner, Lukas, du kennst sie. Nicht mehr ganz so junge Burschen, die sich mit dem Wasser der Fontana dei Fiumi ihr schwarzes Haar wuschen. Und du? Auch einmal Ambitionen gehabt? In welcher Richtung, Schauspielerei? Und was ist geworden daraus? Gibt es ein Wort dafür, ein Wort für Modell? Was bist du, Lukas, erkenne dich, anders kommst du mir nicht davon. Und dann sag mir, was du neben Mayla bist und sie neben dir. Seid ihr ein Paar? Ich vermute es; sonst wüßte ich mehr über euch. Genaugenommen weiß man ja nichts über Paare, so wie man über ferne Planeten nichts weiß. Darum meine Frage: Paßt ihr zusammen? Laß dir ruhig Zeit mit der Antwort. Hör dir erst einiges an über Mayla. Eine kleine Lektion über ihr Leben mit uns. Als Gussmann sie vorstellte, war sie vierzehn. Vormittags ging sie zur Schule, ihre Nachmittage verbrachte sie hier. Damals erledigte sie nur etwas Abwasch, kehrte die Kammern und wachste die Böden; wir pflegten noch überwiegend auswärts zu essen. Zwei Jahre hatten wir also Nachmittage mit ihr, halfen bei den Schularbeiten, ich vermag nur anzudeuten, was das hieß. Wir behandelten sie sanft, fast scheu. Es waren Stunden, in denen jede Nuance zählte, ein Seitenblick, ein unbeendeter Satz. Wir rasierten uns vorher und milderten unseren Altersgeruch, nicht um das Lernziel rascher zu erreichen, sondern aus Scham. Ich war für Mathematik und Englisch zuständig, eine schöne Kombination; das eine haßte Mayla, das andere liebte sie. So befanden wir uns oft in einer Schwebe; noch erschöpft von einer Gleichung mit drei Unbekannten, das heißt algebraischen Fragen, um dein Wissen aufzufrischen, fieberte sie der englischen Konversation mit mir entgegen. Wir unterhielten uns über die verschiedensten Themen. Politik. Alltag. Schlager oder Jazz? Poesie. Immer dienstags und donnerstags. Am Montag unterwies Pacquin sie in Naturkunde. Am Mittwoch hatte McEllis seinen Nachmittag mit ihr; Geschichte und Wetterprognose, ein Fach, das er für Mayla erfunden hatte. Freitags führte Dalla Rosa sie in Geographie und Literatur ein, wobei er sich auf die Nennung von Titeln und Autoren beschränkte; ihre Freude am Lesen ergab sich eher aus unseren Stunden. Fehlt noch der Samstag, Religionserziehung und Lebenskunde, das hatte Gussmann übernommen – seine Lehrpläne waren allen ein Rätsel. Im Alter von sechzehn besaß Mayla jedenfalls ein ungewöhnlich abgerundetes Weltbild und schien uns reif für die Universität. Aber dieser Eindruck hätte keiner Prüfung standgehalten. Sie führte damals Selbstgespräche, wie man von Schwester Angel erfuhr, und neigte zu Albernheiten, besonders in den Samstagsstunden. In den folgenden zwei Jahren reifte sie dann sozusagen nach, und ihre Schönheit kam zum Vorschein. Pacquin – damals sah er noch gut – beschloß, die Nachmittagsunterrichte zu beenden. Wir vereiteln uns sonst jede Zukunft mit Mayla, sagte er. Daraufhin übernahm sie die Küche, und wir verbannten uns in den Raum diesseits

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