Infanta (German Edition)
Mit jedem Gedanken wurde er wacher. Schließlich machte er Licht und las den Brief, den Fidelio zugestellt hatte, noch einmal. War Augustin noch zu retten? Oder vielleicht eher zu beneiden? – Er riß ein Blatt aus dem Heft, in das er zum Spaß Soll und Haben eintrug, und setzte sich an den Tisch. Wie schrieb man einem jungen Mann? Seit Jahren hatte er nur kommenden oder scheidenden Frauen geschrieben, becircend oder abbittend, und das mit Maschine; seine Schrift war ein Alptraum. »Lieber Freund, danke für Deinen offenen Brief. Ganz sicher ist es nicht falsch, wenn Du liebst. Nur solltest Du diese Geschichte auf jeden Fall ausleben. Sie geht Dir sonst verloren, fürchte ich, und das wäre schlimm – eine Art Blindwerden für immer. Denn es könnte ja Deine große Liebe sein, also etwas Einmaliges. Und weißt Du, was ich im Moment denke und Dir vorschlagen will, auch wenn es unvorstellbar klingt? Du gehst morgen zu dieser Frau und sagst zu ihr, Wir beide fliegen nach Rom! Denn Lieben heißt das Unvorstellbare tun. Alle Kosten übernehme ich, und Du kannst natürlich meine Wohnung benutzen, ich rufe den Portiere an. Und zwar fliegt Ihr Anfang Mai. Zehn Tage. Zehn Tage wirst Du Dich ja entschuldigen können. Ein Rückzug in die Einsamkeit, dafür gibt es immer Verständnis. Du mußt nur überzeugend sein, das fällt Dir doch nicht schwer. Und diese Frau – oder wenn Dir das angenehmer ist, diesen Menschen – mußt Du auch überzeugen. Tu so, als seist Du schon in Rom gewesen. Sag, ich besuchte einen Freund, und erzähle ein bißchen. Du erzählst zuerst, daß keine andere Stadt so oft zerstört und wieder aufgebaut wurde. Wo man in Rom hinkommt, sagst Du, stößt man auf Tempelreste, Säulen, Mosaike etc., jeder Spaziergang ist auch ein Gang durch ein Museum. Dann – sie ist ja sicher katholisch – erzählst Du vom Vatikan und den Papst-Audienzen, mittwochs. Da würdet Ihr natürlich hingehen. Und damit bist Du schon beim Programm. Für jeden Tag mußt Du ihr etwas vorschlagen, dann kommt sie gar nicht auf die Idee, daß Eure zehn Tage auch zehn Nächte bedeuten. Ich nehme an, daß sie noch jung ist und ängstlich, mit den üblichen Einwänden. Kein Wort also über die Nächte, nur von den Abenden reden. Beispiel: Wir laufen über die Tiberinsel, schauen uns die Kirche Santa Maria in Trastevere an, das erste der Gottesmutter geweihte Bauwerk Roms, und gehen dann an dem wunderbaren kleinen Platz vor der Kirche bei Sabatini Fisch essen. Alle Frauen essen gern Fisch, und Sabatini hat immer den frischesten; und noch ein Tip – bestell sardischen Wein, Aragosta. Während des Essens redest Du über Dinge, die Dir geläufig sind, also über Musik. Zur italienischen Musik: Ich kenne nur einen Sänger, der aus all dem süßen Zeug etwas Großes macht, sein Name ist Renato Carosone. Du findest jede seiner Platten in meiner Wohnung; da kannst Du noch dazulernen. Und nach dem Essen, sagst Du zu ihr, bummeln wir dann über den Viale, nehmen einen Espresso und gehen später mit einem Eis zum Tiber hinunter. Und den Rest läßt Du im dunkeln. Von meiner Wohnung erzählst Du nur, sie biete einen Blick über hundert Kirchen, habe ein Gästezimmer und sei auch in der Küche sehr gut ausgestattet. Du mußt behutsam vorgehen, aber mit Mut. Ihr und Dir mußt Du die Angst nehmen. Diese zehn Tage sind einmalig, Augustin, einmalig in einem einmaligen Leben. Begreifst Du, was das heißt? Es könnten die zehn glücklichsten Tage Deines Lebens werden. Tage, an denen alles stimmt. Das Aufwachen, das Frühstück, der Stadtgang, die Mittagsruhe, das Schlendern in den Abend, die Blume im Knopfloch, das Essen im Freien. Du mußt Dich nur an ein paar Regeln halten. Bedränge Deine Liebste nicht, mit Dir zu schlafen; sie wird es von allein wollen, oder Du hast Dich in ihr getäuscht. Zeige Dich mehr an ihrem Geist als an ihrem Körper interessiert. Und laß sie alles mitentscheiden, aber plane vor. Denke an Höhepunkte. Wenn für sie der Vatikan dazugehört, dann der Vatikan nicht am Anfang; bereite sie vielleicht auf abgebrühte Priester vor. Und das vatikanische Museum bitte nicht an einem Tag. Ein Gewaltmarsch durch alle Säle, und schon ist der Streit da. In diesen Tagen darf es nie zu Mißstimmungen kommen. Ihr müßt Euch immer in einer leichten Umarmung befinden. Und die letzten Nächte solltet Ihr wachliegen, um keine Minute, die Euch noch bleibt, im Schlaf zu versäumen. Dann werden es einmalige Tage. Ihr müßt sie wollen und dürft
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