Infanta (German Edition)
vorbei an den Gemüsebeeten und dem Zugang zur Küche, über zwanzig schon ausgehobene und zwanzig markierte Stufen bis zu den Kletterrosen vor der Wäscheleine. Man war sich einig geworden, den Trockenplatz für die Wäsche um einige Meter zu verlegen und Gregorio in der windreichsten Ecke des Gartens zu bestatten; De Castro hatte bei seinem jüngsten Besuch die Erde geweiht. »Nicht eine Platte hat gewackelt«, bemerkte Dalla Rosa, als sie das fertige Stück zurückgelegt hatten und auf den restlichen Steinen saßen.
»Es steckt auch viel Arbeit darin, Father.«
Kurt Lukas war müde. Stundenlang hatte er den Boden umgegraben und dann auf der Grundlage von Pacquins Berechnungen und in dessen Beisein Stufen gestampft; dabei führten sie ihr zweites längeres Gespräch. Vor- und Nachteile des Männlichen. Pacquin hatte in dem Zusammenhang ein Mädchen aus Davao erwähnt. Zwar könne er sich an Einzelheiten gemeinsamer Ausflüge erinnern, traue aber seinem Gedächtnis nicht. »Auch wenn die anderen – vielleicht täusche ich mich in diesem Eindruck – in letzter Zeit erinnerungsseliger sind als früher, möchte ich doch fünfundsiebzig Jahre alte Dinge lieber ruhen lassen.« Sie hatten diesen Punkt nicht vertieft, die Arbeit war vorgegangen; Kurt Lukas erzählte Dalla Rosa vom Zertrümmern der Platten mit Hammer und Meißel, vom Begradigen der Stücke und dem Verlegen der ersten Stufen. »Und plötzlich, wie aus dem Nichts, stand der amerikanische Fotograf Bowles zwischen den Rabatten und machte von mir und Father Pacquin ungeniert Aufnahmen. Ich ging sofort auf ihn zu, und Bowles – Vollblutfotograf – lief so natürlich rückwärts, als habe er Augen im Nacken, und sprang dabei noch mit Aplomb über die Beete. Abgesehen von seiner Ausrüstung, hätten wir ihn ohne weiteres für einen Tänzer halten können, zumal er kein Wort sprach, wie man es vom Ballett ja gewohnt ist.«
»Und hast du ihn zurechtgewiesen?« fragte Dalla Rosa. »Ich sagte ihm, dies sei ein privates Grundstück, private property, Mister Bowles, und er wechselte die Kamera und erwiderte, ganz Infanta sei schon so gut wie öffentlich. Bowles sprach dann von Vortrupps, die alle stabileren Hütten und Häuser auf mögliche Unterkünfte hin inspizierten, und verglich Journalisten mit Heuschrecken. Eine Plage zwar, doch würden diese Leute auch zuverlässig wieder verschwinden. Und als wolle er uns diese Theorie sofort beweisen, drehte er sich um und war selbst verschwunden.«
Dalla Rosa schüttelte nur den Kopf. Man müsse wohl mit dem Schlimmsten rechnen: Publizität. Mit dem Bischof habe man besprochen, Gregorio erst dann zu bestatten, wenn Vermutungen laut würden, ob er nicht längst bestattet sei. »Und wer kommt schon auf die Idee«, fügte er hinzu, »daß der Leichnam in unserer Kapelle liegt? Westliche Journalisten werden ja meistens von dem Gedanken der unaufhaltsamen Verwesung beherrscht, darin liegt unsere Chance. Also kannst du in Ruhe deinen Weg zu Ende bauen, und der Totengräber wird bei Dunkelheit die Grube ausheben.« Dalla Rosa schloß sein Wanderauge und sah mit dem anderen in die untergehende Sonne. Ihre Strahlen schossen fächerförmig in einen Himmel, der im Osten bereits, tiefviolett, in Nacht überging. »Sprechen wir nun von der Ausnahme«, sagte er. »Das heißt, ich werde sprechen, und du hörst zu. Aber höre gut zu, Lukas; ich werde mich nicht wiederholen.« Und Bruno Dalla Rosa erzählte von seinem einzigen Liebeserlebnis, das mit seinem einzigen Rom-Aufenthalt zusammenfiel. Obwohl er sich etwas kürzer faßte als Horgan, Butterworth und McEllis, war er ergriffener als sie; in den entscheidenden Details war er sogar genauer. Schon bei der Erwähnung des vollständigen Namens, Grazia Adelina Bagnerini , wurde sein stationäres Auge feucht, und bei der Aufzählung näherer Umstände sprach er auf einmal italienisch und bewegte dazu die Hände, das eine so ungeübt wie das andere, womit er seinen Zuhörer zu höchster Aufmerksamkeit zwang.
Kurt Lukas entnahm der Erzählung, daß sich Dalla Rosa zu dieser Zeit in einer göttlichen Einsamkeit befunden hatte. Er war nach Rom gekommen, um die Nationalbibliothek zu besuchen, und logierte bei einem Großonkel, der am Campo dei Fiori als Wein- und Käselieferant eine Rolle spielte. Ein wohlhabender Mann, der sich eine Buchhalterin hielt, Signora Bagnerini, damals vierundzwanzig und schon Witwe. Sie war unterbezahlt und hatte dafür ein Zimmer in der Wohnung des Großonkels,
Weitere Kostenlose Bücher