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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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die auch als Zwischenlager diente. Dalla Rosa schlief im Nebenzimmer, und unter dem Einfluß der belebenden Gerüche, die vor allem nachts in den Räumen hingen, fanden er und Grazia Adelina zusammen.
    »Das mag vielleicht alles etwas an italienisches Wander-theater erinnern«, erklärte Dalla Rosa nach einer Pause, »aber du wirst bald bemerken, Lukas, daß ich mehr erlebt habe, als es das Bühnenbild erwarten läßt.« Er erwähnte dann insgesamt fünf Begegnungen, eng verbunden mit dem, was in den Räumen gelagert hatte. »Zwei der Begegnungen fielen in Weinnächte, zwei in Käsenächte, und unser Glück erreichte seinen Höhepunkt, als sich beides in der Wohnung befand.« Die Initiative lag offenbar bei der Buchhalterin, soweit Kurt Lukas der Erzählung folgen konnte. Denn am sechsten und letzten Tag der Verbindung führte die junge Witwe den jungen Studenten aufs Capitol, angeblich wegen des guten Blicks auf das Forum, tatsächlich jedoch, um im beliebtesten Standesamt von Rom einen Termin zu vereinbaren. »Ich sah mich auf einmal einem gelackten Beamten gegenüber, der zwei Telefongespräche zugleich führte, was im Jahre neunzehnhundertachtunddreißig noch etwas unverkennbar Teuflisches hatte, und sich zwischendurch erkundigte, ob ich bei Verdi oder, was neuerdings auch möglich sei, bei Wagner die Ringe tauschen wolle, woraufhin ich die Flucht ergriff« – Dalla Rosa war jetzt sichtlich erregt, er raufte sich das weiße Haar und sprach zum Teil wieder englisch –, »Hals über Kopf rannte ich am Kolosseum vorbei Richtung Termini, nahm dort den ersten Zug nach Norden und frage mich manchmal heute noch, ob es richtig war, vor einer Frau davonzulaufen, nur weil sie mich geliebt hat. Und Grazia Adelina hat mich geliebt, so wie ich sie geliebt habe – und damit komme ich zum Kern der Geschichte. Vergiß den Wein und den Käse, Lukas, und stelle dir nur eine blühende Witwe und einen fiebrigen Jüngling vor, ein winziges Zimmer und ein elendes Bett.« Dalla Rosa legte wieder eine Pause ein. Er sah auf seine Hände und fuhr erst fort, als sie ruhig wurden.
    »Ich will dich nicht mit einer Schilderung der körperlichen Liebe langweilen und mich dabei noch versündigen, daher nur ein paar Einzelheiten, die mir in Erinnerung sind. Erstens. Ohne ihre Augen zu öffnen, winkte sie mir zu, nachdem ich meine Kleider abgeworfen hatte. Zweitens. Ich konnte sie kaum ansehen, als sie nackt an meiner Seite lag. Drittens. Wer liebt, begehrt die Hingabe des anderen, nichts weiter. Viertens. Für das langsame Schließen ihrer Lider, wobei sich die Nasenlöcher leicht blähten, hätte ich mir eine Hand abschlagen lassen. Fünftens. Bei den üblichen Zärtlichkeiten im Bett scheint es immer einen Arm zuviel zu geben. Sechstens. Der beschleunigte Atem der Geliebten, einmal gehört, ist eine Musik, die man nicht mehr vergißt. Siebtens. Auf das Wunder des ersten Mals folgt das Verlies der Erfüllung. Und damit komme ich zum Ende. Kaum nach Triest heimgekehrt, ging ich ins Ausland und wurde bald Missionar; erst nach dem Krieg erhielt ich Post aus Rom. Mein Großonkel schrieb, Grazia Adelina habe auf dem Capitol einen amerikanischen Soldaten geheiratet und sei dann ausgewandert. Einen schlaksigen Schwarzen, im Zivilleben Barpianist in einem New Yorker Hotel.«
    »In einem New Yorker Hotel.«
    »Ja, er schrieb mir sogar den Namen. Aber ich entsinne mich nicht mehr.«
    »War es das Victoria Hotel?«
    »Das könnte sein. Ich glaube, so hieß es; woher weißt du das, Lukas?«
    »Ich habe es geraten, Father. Es soll dort einen schwarzen Pianisten geben, etwa Ihr Jahrgang.«
    »Etwa mein Jahrgang, so« – Dalla Rosa wischte sich die Nässe vom Lid und stand auf –, »dann wäre es denkbar. Und glaubst du, Grazia Adelina ist noch bei ihm?«
    »Wenn sie geliebt wird, warum nicht.«
    Der alte Priester nickte. Er bat um einen Arm und ging an Kurt Lukas’ Seite langsam den Hang hinauf; es war Nacht geworden. »Sie wird geliebt«, murmelte er. »Sie konnte einen blind machen, vielleicht floh ich auch deshalb. Auf dieser Zugfahrt nach Norden, als ich innerlich noch im Süden war, schälte sich aus meiner göttlichen Einsamkeit eine menschliche heraus, stumpf wie die Einsamkeit an einem ersten Januar. Hinter Bologna hatte ich mir schließlich eingeredet, ich sei aus Überzeugung weggelaufen. Doch es geschah aus Angst. Die Signora Bagnerini, die nur die Bücher ihrer Buchhaltung kannte, war mir weit voraus, Lukas, und ich denke, dieser schlaksige

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