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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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Liebe eines Menschen zu bemerken ist die geringste Antwort, die man auf die Schöpfung geben kann. Oder ist Ihre Antwort umfangreicher?
    Mister Kurt: Meine Antwort heißt, Ich bleibe.
    Alle, durcheinander: Wunderbar, fabelhaft, gratuliere.
    Dann Butterworth, nach kurzem Schweigen: Sie denken also, Sie könnten nie wieder auf einem Tuch liegen, mehr oder weniger unbekleidet, mit ausgebreiteten Armen und diesem matten Lächeln, das die Auferstehung ahnen läßt, nein?
    Daraufhin seufzte Mister Kurt«, fuhr McEllis in der gewohnten Schreibweise fort, »und erklärte, er sei sicher, ihm würden die einfachsten Dinge nicht mehr gelingen. Ein gutes Modell, sagte er, ist von perfekter Beschränktheit. Und er erzählte von seinen Miniaturrollen, an denen er inzwischen scheitern würde, was uns so neugierig machte, daß wir ihn baten, doch eine Kostprobe zu geben. Erwartungsgemäß zierte er sich ein wenig, ließ sich dann aber zu einer Demonstration überreden. Nachdem wir uns umgesetzt und eine Art Kinoreihe gebildet hatten, trat Mister Kurt in die Mitte des Raums. Etwas betreten wies er darauf hin, daß seine Rollen stumm seien, und der Novize bot Pacquin an, ihm alles zu beschreiben. Dieser hatte nichts dagegen, die kleine Vorführung konnte beginnen. Also Mister Kurt begibt sich in die Leseecke, kommentierte Augustin, dreht sich dort jetzt auf dem Absatz um und kommt langsam zurück. Er scheint über einen Platz zu schlendern, mit der schlummernden Aufmerksamkeit des echten Flaneurs. Und auf einmal lächelt er und bückt sich nach einem zerbrechlichen Gegenstand, den er offenbar einer Dame reicht, die ihn verloren hat, wobei sich beide für einen Atemzug nahe sind und irgendein Duft, ihr Parfum oder sein Haarwasser, aus dieser Gefälligkeit, wenn man das so sagen kann, eine Begegnung macht. Unser Pacquin verbat sich alle Deutungen, ihn interessiere allein das Sichtbare, und Augustin mußte sich eilen, um auf dem laufenden zu bleiben. Seine Schilderung – aber auch das, was wir sahen – bekam etwas Telegrammartiges.
    Mister Kurt jetzt vor der Bücherwand. Steht einfach nur da, Standbein, Spielbein. Bekommt dann irgend etwas in den Mund geschoben und gerät in Zuckungen wie ein Sänger, dem die Welt zu Füßen liegt. Ende. Pause; er konzentriert sich. Erneute Wendung auf dem Absatz, er tritt an den Lesetisch, will offenbar etwas kaufen, merkt, daß er kein Geld dabei hat, kurze Verlegenheit, dann erlösendes Lächeln: Mister Kurt findet ein Kärtchen in seinem Hemd, zeigt es, und ein Wunder vollzieht sich, Ende. Diesmal keine Pause, sondern Gang zum Fenster. Er schaut nach draußen, scheint seine Familie im Garten zu sehen – jedenfalls runzelt er die Brauen wie ein Mann, dem eine innere Stimme sagt, Wie schön ist doch das Leben mit Kindern, Frau und Hund! Pacquin legte Augustin eine Hand auf den Arm, und mit diesem Anhalten des Kommentars endete auch die Vorführung. Unser Gast verbeugte und empfahl sich – er sei erschöpft vom Steineklopfen. Unter anerkennenden Bemerkungen und dezentem Beifall zog sich der rechtschaffen Müde zurück.«
    McEllis klappte sein früheres Wetterbuch zu. Er erinnerte sich an ein gemischtes Gefühl des Respekts, wie es auch Kinderjongleure auslösen. Sie waren dann noch eine Weile zusammengesessen und hatten sich auf den Ausdruck bizarre Kleinkunst geeinigt, bis der Superior nachträglich von unpassender Unterhaltung sprach und die Runde aufhob. Die einen waren in ihre Kammern gegangen, die anderen zur Totenwache. McEllis streckte sich; alles war festgehalten, er könnte sich schlafen legen. Vorher wollte er noch seinen Nachtdurst stillen.
    Im Gemeinschaftsraum brannte Licht. Butterworth stand vor der kleinen New York-Abteilung und suchte etwas Bestimmtes; in der Leseecke lagen seine Papiere. McEllis ging zum Kühlschrank, während der bleiche Priester nach einem Blick über den Brillenrand im gleichen Ton wie zu Kurt Lukas sagte, »Ich bekomme nachts auch immer Durst, nur früher als du.« Darauf fragte McEllis, ob er etwa gewartet habe, und die Antwort lautete: »Seit einer Stunde. Wir müssen unsere Gedanken austauschen.«
    Sie setzten sich, und Butterworth eröffnete das nächtliche Gespräch mit einer allgemeinen Bemerkung. »Hinter jedem guten Buch liegt immer ein gewisses Trümmerfeld«, sagte er. »Wir beide werden Federn lassen.« Dann erklärte er, sein Erstellen einer Chronik der vergangenen Monate leide mehr und mehr darunter, daß er am täglichen Detail klebe und nicht

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