Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
Vom Netzwerk:
gegenübergestanden. Elisabetta Ruggeri – eigentlich Minwegen, das rutschte ihr heraus –, so deutsch wie er, so groß wie er, so alt wie er. Nein, da ergäbe sich nichts. Kurt Lukas sah zum Himmel. Tagte es schon? Der Himmel war von dem Blau alter Tinte mit ihrem Flimmer aus kleinsten Kristallen. Er liebte dieses Blau. Es erinnerte ihn an ein Bild, vor dem er oft gestanden hatte, in einer Stadt, die ihm heute nur noch jenes Bild und einen Flughafen mit guten Anschlüssen bot. Er hatte dort jahrelang seine Ferien bei den Eltern verbracht, mit Musikhören, Schlafen und Malen. Rechts halten. Er ging jetzt langsamer, den Kopf im Nacken, bemüht, ein Sternzeichen, das er kannte, zu finden. Er glaubte, mehrere zu kennen, doch kannte er nur den Großen Wagen, und den gab es an diesem Nachthimmel nicht. Sein Fuß trat gegen etwas Weiches.
    Das Weiche ragte aus den Farnen und stieß einen Rabenlaut aus. Er wollte fliehen, aber bückte sich. Am Wegrand lag ein Körper, ein mit Ruß und Schmutz bedeckter Mensch. Er bückte sich tiefer, und Leben kam in den Körper. Brüste glitten über den Rippen zur Seite, Hände bedeckten schützend den Bauch. Kein Mann, eine Frau. Sie wahr kahl und sah ihn an. Ihre Augen waren entzündet, zwei Kirschen. Das einzig Helle an ihr waren die Spitzen der Brüste. Sie stachen mehlig blaß aus dem Rußkleid, als erwarte sie ein Kind; aber wer kannte sich da schon aus. In ihrem Schoß lag ein Messer. Er holte einen Geldschein aus der Tasche und streckte ihn der Frau entgegen. Doch es kam keine Hand. Nur ihr Mund klappte auf, ein Loch im Gesicht. Ihm wurde übel. »Nimm doch«, sagte er und schämte sich. Und die Frau im Schmutz , dachte er, stieß wieder den Rabenlaut aus, griff nach dem Schein und küßte seine Hände.
    Kurt Lukas riß sich los. Er sprang über den Körper und rannte. Er rannte und erbrach sich, suchte an Bäumen Halt und würgte, schleppte sich weiter, spuckte und rannte erneut, rannte, bis seine Muskeln erlahmten, trabte dann und hielt sich die Seiten. Mit Erbrochenem bespritzt, trabte er über den Pfad zur Station, schweißüberströmt. Der alte Sendemast tauchte auf, oben glühte ein Licht. In weitem Bogen umlief er das Haus, damit keiner der Priester ihn sehe, erreichte den Baum vor seinem Balkon und packte blind einen Ast. Der Baum war ein Kinderspiel. Schon sah er die Brüstung, griff um die Kante, bot alle Kraft auf und bestieg den Balkon. Sein Atem wurde ruhiger; noch im Freien streifte er die Kleidung ab und lehnte sich an die Tür. Sie gab nach, und er drehte sich um. Die Ewige Lampe brannte. Es roch nach Zigarettenrauch. Auf seinem Bett saß Mayla.

K urt Lukas floh in die Dusche. Er drehte an den Hähnen, es pfiff und knurrte aus der Brause. Er trommelte gegen die Rohre, und Rost und Putz rieselten auf ihn herab. Wie ein Verdurstender hoffte er auf Wasser, und wenn es nur tropfte, genug, um sich den Mund zu spülen.
    »Das Wasser ist abgestellt«, sagte Mayla.
    Ihre Stimme klang überwältigend leicht. Er sah durch den Vorhangspalt. Sie trug ein helles Kleid und saß mit angezogenen Knien auf dem Bett.
    »Abgestellt, warum? Wie spät ist es, was machst du hier?«
    »Ich warte.«
    »Auf mich?«
    »Du mußt leiser reden, Lukas.«
    Leiser, Lukas, leiser, das war wie in der Schulzeit, da hatte es nie einen Kurt gegeben, immer nur einen Lukas, den Lukas , ohne Vornamen, ohne Abkürzung. »Dieser Lukas«, flüsterte er, »der stinkt. Weil er sich erbrochen hat.« Mayla schnupperte. »Ich rieche nichts.« Er band sich ein Handtuch um und trat aus der Dusche. »Weil du nett und höflich sein willst.« Sie lächelte ihm zu. »Ich, nett und höflich? No way.«
    »Hat dich Narciso deshalb geschlagen?«
    »Es war ein Versehen.«
    Ihre Stimme klang immer noch leicht. Er schob den Stuhl zum Bett und setzte sich. Sein Rücken juckte; eingeschlossen in eine Haut aus Galle und Schweiß, saß er da.
    »Ist dir kalt?« fragte Mayla.
    »Kalt? Nein, ich glühe.«
    »Vielleicht bist du krank.«
    »Ich bin nicht krank.«
    »Oder ich bin es. Weil ich hier bin.« Mayla griff sich an den Puls. »Möchtest du fühlen?« Er winkte ab. »Falls du es dir überlegst, er schlägt auch später noch« – sie sah ihn jetzt aufmerksam an, und er bat sie, die Ewige Lampe zu löschen. Mayla erfüllte die Bitte. Sie hatte genug gesehen. Seine behaarten Achseln, die dunklen Brustwarzen, das Treppchen der Bauchmuskeln, seinen Nabel; seine Verlegenheit. »Armer Lukas«, sagte sie. »So enden die Besuche

Weitere Kostenlose Bücher