Infanta (German Edition)
für seine Gegner.«
»Leider hilft mir das nicht.« Der Kommandant massierte sich die Schläfen; seine vierzig Jahre zeigten sich nur in den Augen. »Vorsichtshalber gehe ich also davon aus, daß Sie bleiben«, sagte er, während Wilhelm Gussmann langsam weitererzählte.
»Natürlich rissen sich alle Menschen um diese Schweißperlen, und es entstand ein Tumult. Mädchen zerrten Soldaten an sich, Landarbeiter umschlangen Verkäuferinnen, gottesfürchtige Frauen erfanden neue Tänze. Doña Elvira jagte durch Gassen aus Leibern, noch immer ihren Schweiß verteilend, jedem ein Tröpfchen auf die Lippen, und da geschah etwas Entscheidendes: Der Strom fiel aus. Es wurde schlagartig dunkel, und einige Sekunden lang war es vollkommen still. Die Bude hielt den Atem an, bis Doña Elviras Stimme wie eine Schneide durch die Dunkelheit und Stille fuhr. Ohne Begleitung und Lautsprecher schickte sie jeden einzelnen Ton in den schwarzen Raum, sang, bis der Strom wieder da war und das Licht auf ein unbeschreibliches Durcheinander fiel. Die meisten befanden sich auf dem Boden, während die Umjubelte auf einem der Tische kniete und ihren Haarbusch hin und her warf, und im nächsten Augenblick wußte ich, daß sie nie mehr an einem Ort auftreten würde, an dem ihr das nicht gelänge: größer zu sein als dieser Ort selbst. Hier in Infanta war sie nun der äußerste Vorposten eines fernen New York, und es dauerte kein Jahr, da hatte sie genug verdient, um die alte Bude kaufen zu können. Arturo Pacificador steckte das Geld angeblich in seinen Mabini Palast, den skandalösesten Nachtclub der Hauptstadt . . .«
»Von ganz Südostasien«, verbesserte ihn der Kommandant und wandte sich erneut an Kurt Lukas. »Wie ich hörte, sind Sie unserem Polizeichef begegnet. Unangenehm?«
»Das kann ich nicht beurteilen.«
»Captain Narciso erscheint manchmal etwas ungeschliffen, wenn ihn sein Sergeant begleitet. Ich rate immer ab, sich neben ehemaligen Sportgrößen zu zeigen. Könnte ich auch gehört haben, daß Sie Tennis spielen?«
»Ich weiß nicht, was Sie gehört haben. Millionen von Menschen spielen Tennis.« Kurt Lukas trank. Sein Schweiß färbte die Tischplatte. Gussmann schob ihm noch eine Flasche zu. »Schau nicht so vor dich hin«, sagte er. »Sieh lieber zu Doña Elvira. Sieh auf ihr Kleid: wie der Stoff über dem Allerwertesten zum Zerreißen gespannt ist. Aber er reißt einfach nicht. Es wäre wunderbar, wenn er es einmal täte. Wo war ich stehengeblieben?«
»Sie kaufte die Bude.«
»Richtig, sie kaufte die Bude. Und singt nun jeden Abend hier, läßt aber auch Anfänger auftreten; ihre Seele ist groß und unberechenbar wie ein Traum.«
»Amen«, bemerkte der Kommandant und legte Kurt Lukas eine Hand auf den Arm. »Sie kamen aus der Hauptstadt?«
»Ja.«
»Und vorher?«
»Aus Singapore.«
»Allein?«
Kurt Lukas schwieg.
»Du kannst ihm trauen«, sagte Gussmann. »Oberst Almandras ist der einzige Soldat auf der Südinsel, der diesen Namen verdient.« Der Kommandant widersprach dem nicht. Er sah auf seine Hände. »Vielleicht war Wilhelm Gussmann auch der einzige . . .« Applaus und Pfiffe unterbrachen ihn, Empfang für einen ungeliebten Star. Sergeant Romulus bahnte sich den Weg zur Bühne. Der ehemalige Boxmeister trat regelmäßig in der Bude auf. Er sang nie etwas anderes als alte Dean-Martin-Nummern, die er noch vor den schlimmsten Schlägen gegen seinen Kopf einstudiert hatte. Da ihm die Texte entfallen waren, behalf er sich mit handgeschriebenen Zetteln. Sie wurden von Ferdinand für zwei Pesos das Stück verliehen. Romulus trug ein schwarzes Hemd und eine weiße Hose. In der einen Hand hielt er die Zettel, in der anderen einen Aschenbecher; wie Dean Martin rauchte er während der Vorstellung. Als er an Gussmanns Tisch vorbeikam, sprach ihn der Kommandant an.
»Was werden Sie singen?«
»Das, was ich immer singe, Sir.«
»Ich möchte mich noch unterhalten. Anschließend können Sie singen.« Der Sergeant verzog keine Miene. Er nickte dem Kommandanten zu, sah dann Kurt Lukas in die Augen und zog sich zurück. »Hast du seinen Blick gesehen, Wertester? Er möchte sich mit dir schlagen« – Gussmann flüsterte auf deutsch –; »wenn es je dazu kommt, mußt du ihm nur den linken Arm ermüden; rechts hat er keine Kraft mehr. Und den Oberst mach dir zum Freund. Er hat dir nicht umsonst gezeigt, wie er mit Polizisten umspringen kann.«
»Sprechen Sie englisch«, sagte der Kommandant. Sein Befehlston war höflich und
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