Infanta (German Edition)
Schlaf und zerrte im Traum vergebens an einem Lätzchen, das ihm den Tadel des Schiedsrichters wegen ungebührlicher Kleidung eintrug, während die Herzogin hinter einem Taschentuch ihr Lachen verbarg. Der andere sah sich im Rampenlicht des berühmten Mabini Palastes singen, ein Lächeln von Mayla erwidernd, die in der ersten Reihe saß, Besteck abtrocknend, schlief darüber ein und brachte im Traum keinen Ton über die Lippen.
Während der Novize und Horgan schlecht träumten und die übrigen Alten ihren Gedanken nachhingen, ging der Mann, der die große Unruhe in die Station gebracht hatte, der kleinlichsten aller Beschäftigungen nach – Kurt Lukas wartete.
Er hatte erst dreimal auf eine Frau gewartet. Das erste Mal auf sein Kindermädchen, das verunglückt war. Das zweite Mal auf eine junge Ärztin, die er in seine Wohnung eingeladen hatte; sie war nicht gekommen. Das dritte Mal auf eine Geliebte am Leonardo-da-Vinci-Flughafen; er hatte sich im Datum geirrt. Dies war das vierte Mal, doch nun unter erschwerten Bedingungen. Es gab keine Abwechslung. Keine Schaufenster und keine Passanten, keinen Espresso und keine andere Frau. Es gab nur ihn und die Zeit. Er saß auf seinem Balkon und achtete auf jeden Laut. Auf ein Zirpen, das anhob und abriß. Auf Gelispel im Bambus. Auf eine fallende Frucht. Auf den eingebildeten Hauch aus den Bananenstauden. Wie angebunden saß er auf seinem Stuhl und hoffte, daß etwas geschehe. Doch kein Zweig bewegte sich, wenn er ihn nicht bewegte. Nichts geschah; nur eine alte Wut wuchs in ihm. Kurt Lukas haßte jedes Warten. Es höhlte ihn aus. Es machte ihn hart. Es nahm ihm die Geschmeidigkeit und eine höhere Lizenz, die für sein Leben galt: sich jederzeit aus dem Menschentopf zu bedienen. Wie sinnlos war im Augenblick sein Lächeln. Wie nutzlos sein Tageshonorar, mit dem man hier vermutlich einen Priester auslösen könnte. Er war nicht reich, er verfügte nur über unerschöpfliches Taschengeld. Und wartete, wütend auf sich. Warum blieb Mayla einfach weg. Warum kam sie nicht. Wie kam sie dazu, einfach wegzubleiben? Was setzte sie nicht alles, ahnungslos, aufs Spiel – einen ganzen Monat lang könnte er mit ihr durch Rom streifen und ihr nur die Feinheiten zeigen. Nicht die schmutzige Spanische Treppe, nicht das angeschlagene Colosseum, nein, den zierlichen, wie einem Traum entnommenen protestantischen Friedhof oder halbversteckte Läden mit Damenhüten aus England; ihr hier etwas kaufen und da etwas kaufen und sie dann in den Nächten durch die ausgeklügelte, von Woche zu Woche wechselnde Un ordnung einer Welt schleusen, die zu bestimmten Zeiten an bestimmte Orte kam, um dort auf ganz bestimmte Weise schön zu sein.
Kurt Lukas hoffte noch immer. Er redete sich ein, daß sie unterwegs zu ihm sei und er keine Zeit geopfert habe. Das Schlimmste am Warten auf einen Menschen war ja das Opfer dabei; auf widerliche Weise konnte es sich in Liebe verwandeln. Wie abstoßend das war: eine Frau zu lieben, weil man ihr jahrelang Opfer gebracht hatte. Aus diesem Grund liebte man Kinder. Er liebte eine Frau, weil sie ihm gefiel. Es war nur eine Sache der Augen, des ganz und gar ungerechten Geschmacks. Jemand mit gerippten Nägeln war zum Beispiel gleich gestorben. Oder der geringste Flaum auf den Wangen, ein nur etwas zu schwerer Gang, eine ungute Stelle im Nakken, und er paßte. Sein Wille, ein Auge zuzukneifen, war kümmerlich; schließlich hatte er Rom als sein Pflaster gewählt, weil das päpstlich-zugeknöpfte Rom die Stadt der schnellen, schamlosen Blicke war. Einer kurzen, mitleidlosen Einschätzung, auf die sofort ein Ja oder Nein folgte wie in früherer Zeit der nach oben oder nach unten gerichtete Daumen. Ja hieß, man durfte mitspielen, Nein, man war ein Niemand. Ganz Rom war ein Kinderspielplatz voll schönster Grausamkeit. Eine ideale Stadt für Priester. Eine angenehme für Pensionäre. Ein Schlachtfeld für die Jungen. Für alle Häßlichen mit Liebeswunsch die Hölle. Für ihn war jeder Stadtgang eine Expedition in schwieriges Mädchengebiet. Und ein Aufbruch zu fernen Verwandten. Denn diese knappgekleideten, Eis schleckenden, immer etwas überfütterten jungen Frauen, die zu zweit auf ihren Piaggios fuhren – vier braune Schenkel und eine einzige Fahne aus Haar –, waren ja genauso ungerecht oder gerecht wie er. Und darum mochte er sie. Am liebsten mochte er sie, wenn die Hitze über Häusern und Kirchen lag und die Menschen leichtsinnig machte. Als einer der wenigen, die
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