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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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sich so nahe am Weltgeschehen zu wissen.« McEllis schrieb. In seinem Wettertagebuch häuften sich die eingeklebten Notizen. Er beschrieb nur die Vorderseiten der Zettel und klebte sie dann an der Oberkante übereinander; so entstanden dünne Blöcke, die wie getrocknete Blumen zwischen den Seiten ihren Platz fanden. »Vielleicht sind es Verse«, hatte Dalla Rosa über diese Einlagen zu Horgan bemerkt, »vielleicht aber auch Billetts, die er nicht absenden möchte.« McEllis spürte die Neugier der anderen, sobald er sein angeschwollenes Wetterbuch aufschlug, besonders die von Butterworth. In dieser Nacht schrieben sie seit langer Zeit wieder beide. Wand an Wand füllten sie Blatt um Blatt.
    »Gerade weil wir für die Verbindung von Mister Kurt und Mayla unsere Gründe haben«, notierte McEllis, »sollten wir diese Liebschaft nicht einfach hinnehmen, sondern zur Sprache bringen.« Er hob den Blick und sah mit weit in die Ferne gerichteten Augen – Augen, die er lange offenhielt, um sie dann lange zu schließen – aus dem Fenster. Einzelne Sterne flimmerten. Welche Räume lagen zwischen ihren Lichtern; der Priester schweifte ins Unermeßliche, bis ihn etwas Weiches zwischen den Füßen auf die Erde zurückholte. West-Virginia. Sein Tier. Wer wäre nicht stolz auf den Besitz eines solchen Geschöpfes – schön, klug und in Erwartung von Nachwuchs? Die Hündin streckte sich und verschwand durch ihr Türchen. McEllis schloß das Wetterbuch. Hatte er nicht auch ihre sinnvoll erdachten Ein- und Ausgänge gegen das Bedenken der übrigen, es entstünden nur Löcher im Haus, durchgesetzt? Ebenso müßte sich ein sinnvoller Umgang mit der Liaison unter ihrem Dach durchsetzen lassen.
    Er stand auf und wusch sein Gesicht. Anschließend brachte er einen Taschenspiegel über dem Waschbecken an, nahm seine kleine Bartschere und stutzte sich einige Borsten. Wie die anderen verwandte er nur an ausgesuchten Stellen Sorgfalt auf seine Toilette. Doch im Gegensatz zu ihnen erzielte er einen Effekt: Die akkurate weiße Bürste über seiner Oberlippe verlieh ihm das Flair eines pensionierten Kolonialoffiziers – jedenfalls hatte das Gregorio einmal behauptet. McEllis vermißte ihn. Vielleicht sollte er ihm schreiben. Er dachte darüber nach und wäre auf der Stelle ans Werk gegangen, hätte er Butterworth’ Seufzer, die herüberdrangen, das Bleistiftspitzen und Papiergeraschel nicht als neuen Tagebuchanlauf unterschätzt. Er konnte sich nicht vorstellen, daß Butterworth wieder korrespondierte.
    Aber so war es. Der bleiche Priester schrieb an Gregorio. Ohne Auftrag. Ein Adressat genügte; Butterworth hatte seine Hemmungen überwunden. Die Bitte, von Mister Kurt eine Zeichnung in Worten anzufertigen, hatte den Anstoß gegeben. Kaum war Pacquin damit herausgerückt, nach einem nächtlichen Gebet für De Castro, hatte er auf seiner Kammer die ersten Versuche gemacht, ein Blatt mit zusammenhängenden Sätzen gefüllt. Subjekt, Prädikat, Objekt. Punkt. Schon gegen Morgen war es aufwärts gegangen, er hatte sich an Metaphern gewagt und Wortspiele probiert. Ein Tag und eine Nacht und noch ein Tag waren schreibend vergangen, Butterworth hatte kaum geschlafen. Doch er war frisch. Die leere Zigarettenspitze im Mundwinkel, saß er in Hemd und Hose auf dem Bett und versuchte sich an einer Darstellung des zurückliegenden Abendessens. Gregorio sollte einen vollständigen und lebendigen Eindruck von den neuesten Entwicklungen auf der Station bekommen, das wäre das mindeste.
    ». . . unser alter Pacquin war schon bei Tisch und brachte eben eine seiner Haushaltsnotizen um einen weiteren Buchstaben voran, während der Novize Horgan ein Lätzchen umband – eine Einrichtung, die auf Augustins Initiative zurückgeht. Dalla Rosa machte Pläne für eine Neuordnung der Bibliothek, McEllis hielt sich aus den bekannten Gründen bei der Durchreiche auf, und ich selbst blätterte in der Zeitung. Plötzlich erhob sich Pacquin, reichte dem Novizen ein Stück beschriebenes Papier und murmelte, er solle bitte diese Medikamente besorgen, und das möglichst gleich. Augustin begriff, daß er sich zurückzuziehen hätte, und jeder von uns wußte, daß Augustin wußte, daß etwas Delikates anlag. Wir aßen schweigend. Erst als sich die Klappe in Maylas Bühne schloß, um einen Ausdruck unseres entführten Bischofs zu gebrauchen, und das mit einem Geräusch, das mir heftiger als gewöhnlich vorkam, ergriff Pacquin das Wort. Hat uns Mister Kurt verlassen? fragte er –

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