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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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wurde, zählte zu den Höhepunkten in Wilhelm Gussmanns Leben. Ein anderer Höhepunkt war jener Tag, an dem er Mayla auf die Station brachte, nachdem sich ihre entfernten Verwandten als zu arm erwiesen hatten, um für sie zu sorgen. Als weiterer Höhepunkt folgte drei Jahre später der Austritt aus der Gesellschaft. Den vorerst letzten Höhepunkt bildete die Nacht, in der Flores seine Geliebte wurde. Mit der verbohrten Systematik von Menschen, die viel nachzuholen haben, schlief er von da an täglich mit ihr, bis Kurt Lukas auftauchte und Mayla, die allen und keinem gehört hatte, sich dem Stationsgast hingab. – Sie gab sich ihm hin, daran mußte Gussmann jetzt immerzu denken, auch während er bei Flores lag, schweißbedeckt und zerfahren.
    Der frühere Priester konnte nur noch um die Kraft beten, dem Tod entgegenzuschauen, ohne Mayla in den Armen gehalten zu haben. Er fühlte sich nicht verletzt. Warum sollte sie auch ein stattliches Wrack, wie Doña Elvira ihn kürzlich genannt hatte, einem Mann wie Kurt Lukas vorziehen? Nein, das verstand er und war auch nicht eifersüchtig; nur sehnte er sich in jeder Minute nach ihr. Während er einzelne Hefte mit Klebeband vor dem Zerfall bewahrte und es langsam Abend wurde, Blechdächer im letzten Sonnenlicht glühten und Billardkugeln tickten, Duft von frisch gewaschenem Haar die Kinder umschwebte und junge Frauen ihm Münzen über die Theke schoben, um dann im Fach Erste Liebe zu wühlen, vermißte er Maylas Hand, die oft wie ein kleines Tier auf seinem Arm geruht hatte.
    Gussmann trat aus dem Laden. Ein verwischter Mond stand über Infanta. Leicht bezogener Himmel, das bedeutete Bruthitze bis zum Morgen. Bruthitze nachts, das waren schlaflose, unruhige Menschen und die schwere klebrige Luft, nicht endendes Palaver und die locker im Gürtel sitzenden Hackmesser; das waren die süß parfümierten Friseure vor ihren Brettersalons und Hähne zur Unzeit, das war sein eingeschnürtes Herz und eine heillose Knabenneugier auf die verborgensten Stellen der Mädchen. Der frühere Priester stand auf dem Weg vor seinem Laden und haderte mit dem Himmel. Hadern mit dem Himmel, das hieß, Ich taumelte durch meine Unzucht, verspritzte mich und kochte wieder; du aber schwiegst. Ein halbes Leben lang hatten ihn diese Worte begleitet, und im Grunde hielt er sie bereits für die eigenen, der große Kirchenlehrer würde es verzeihen. Wilhelm Gussmann drehte sich um. Ein neuartiges, den ganzen Ort überziehendes Geräusch schien diese Nachthitze ausgeschwitzt zu haben. Wie alles Laute tönte es von der Bude, mal klirrend, mal rauschend, auch als Gestampfe, mit keinem herkömmlichen Instrument zu vergleichen, ab und zu, Gott sei Dank, von Gesangsproben unterbrochen. Jemand mit Stimme ließ immer wieder ein Lied anklingen, das populär geworden war, als Gussmann noch am laufenden Band getauft hatte.
    Er kehrte in den Laden zurück, sang den Refrain leise mit, und die jungen Frauen riefen No way! – er strahlte. Seit vierzig Jahren kannte Gussmann diesen glockenhellen Ausruf, Kommentar zu allem Aussichtslosen, amüsiert und etwas verächtlich, bitter auch, aber nie böse. »Herrgott, ich liebe euch«, antwortete er, »ich liebe euch Hübschen.« Die jungen Frauen sahen sich an. »Die Heiligen seien ihm gnädig«, tuschelten sie und schauten erschrocken, als Doña Elvira nur einen Atemzug später fast dieselben Worte in ihr Mikrophon und also durch die Nacht murmelte – »Die Heiligen mögen ihm gnädig sein«.
    Augustin sang. Von Knappsacks Kleinoden angelockt und ermutigt durch das seltene Lächeln des Australiers, sang er den unverwechselbaren Anfang von Küß mich rasch, auf eine Art, die Father Demetrio in seinem Dossier als Jubel eines gefallenen Engels beschrieb. Ein schlichter Schlager genügte ihm allerdings nicht, um seine Stimmbänder geschmeidig zu machen, und so versetzte er den Ort auch noch mit Lobet den Herrn in Erstaunen. Augustins Augen leuchteten, während Doña Elviras Rummelplatzlautsprecher seinen Gesang bis an die empfindlichen Ohren des Superiors trugen, Horgan aus Tagträumen holten und McEllis beim Bürsten der Hündin erreichten, Butterworth den Bleistift abbrechen ließen und in Dalla Rosa eine schmerzliche Erinnerung an sein versunkenes Italien wachriefen. Auch das Eingreifen der schwarzen Sängerin änderte nichts mehr daran: Auf der Station wurde darüber nachgedacht, ob dem Novizen die Heimreise nahezulegen sei.
    Doña Elvira griff rigoros ein. Sie machte

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