Infanta (German Edition)
Worte gefallen und gerade noch hörbar durch die angelehnte Klappe gedrungen. Liebst du diesen Mann, habe Pacquin gefragt. – Das Stimmengewirr kam jetzt näher, vermischt mit Gesang. Tanzende Lichtpunkte, kaum heller als Glühwürmchen, tauchten aus der Dunkelheit auf, brennende Kerzen. Oh, ja, sie liebe ihn, fuhr Augustin fort, als Gussmann auf die Menschen zutrat, nur mit einer Hose bekleidet, das weiße Haar zerzaust, in der Hand einen Schemel. »Kommt nur, kommt«, rief er ihnen entgegen, »zeigt, daß es euch gibt!« Der frühere Priester schwenkte die Arme, beschrieb Kreise mit den Händen, stampfte auf und erhob einen Zeigefinger und gebärdete sich alles in allem wie ein Kapellmeister, während der Novize weitererzählte. »Das ist gut, hieß Father Pacquins Antwort, denn dann dürftet ihr ja sicher heiraten, und du kannst das Angebot des Bischofs annehmen. Was für ein Angebot? wollte Mayla wissen. Das Angebot, seine neue Sekretärin zu werden – De Castro fragt uns in einem Brief, was wir davon hielten, und bittet mich, dich zu fragen, ob du bereit seist, falls Mister Kurt und du nicht andere Pläne hättet. Worauf Mayla zuerst ganz sprachlos war, dann aber Oh, Father sagte Oh, Father, ich muß jetzt sehr genau nachdenken . . . Was hältst du davon? Mayla als Sekretärin des Bischofs. So ein Angebot kann sie nicht einfach ausschlagen. Und das bedeutet, daß sie dir wohl kaum nach Rom folgen wird und du« – Augustins Augen verschleierten sich zu einem fragenden Blick – »also bleiben müßtest, sofern du sie liebst.«
»Was weißt du von Liebe«, sagte Kurt Lukas.
Der Novize schaute ihn an. »Nichts Genaues«, flüsterte er, »aber du könntest mir ein paar Einzelheiten erzählen.« Er ergriff Kurt Lukas’ Hand und sah zu den Menschen. »Wie das so ist mit einer Frau.« In die Menge kam Bewegung; Uniformierte kreisten sie ein, Männer, die Gewehre trugen, sich zeigten und verschwanden im Rhythmus halblauter Befehle. Kurt Lukas wollte aus dem Schußfeld, doch der Novize hielt ihn fest; und da erzählte er Augustin in wenigen Sätzen, wie das so sei mit einer Frau, Sätzen, in denen immer wieder das Wort Natürlich vorkam. Wenn das alles wäre, entgegnete der Novize, dann hätte er es selbst schon getan. Und jeder Priester würde es jeden Tag tun, denn es wäre gar nichts dabei. Es wäre wie Essen und Trinken.
»Schön«, sagte Kurt Lukas, »es ist eine Menge dabei. Und eigentlich zählt nur das, was dabei ist. Das Unnatürliche, wenn du es genau wissen willst. Und nun halt den Mund.«
Gussmann, auf dem Schemel stehend, hatte sich an die Menschen gewandt. Hochaufgerichtet, mit den Händen eine Schalltüte bildend, wodurch seine Rippen einzeln hervortraten, sprach er betont und auf englisch, als predigte er noch einmal in seiner alten Radiostation und die Bevölkerung der ganzen Provinz stünde gebannt vor dem Empfänger. »Ihr müßt gar nichts tun«, erklärte er, »ihr braucht nicht zu brüllen oder mit Steinen zu werfen, es genügt, daß ihr da seid, versammelt und einer Meinung – anderer Meinung als die, die hier Gewehre tragen. Allein, daß es euch gibt, macht sie krank. Sie fassen es nicht, die Leute mit den Gewehren, daß Menschen andere Gedanken haben als sie und daß diese Menschen auch noch die Mehrheit sind. Darum fürchten sie Demokratie. Daß die Zerlumpten und Verdreckten, die Hungerleider und Krüppel, das Heer von Tagelöhnern, Losverkäufern und Straßenmädchen in diesem Land, die mageren Lehrer und harmlosen Gemeindeschwestern, daß dieses Volk aus Heftchen lesenden Verkäuferinnen mit fünfzehn Pesos am Tag und die halbnackten Frauen, die nachts auf dem Bordstein gebären, all die Menschen ohne Dach über dem Kopf, die nichts besitzen als ein Leibchen, auf dem Pepsi steht – daß sie alle bald eine Stimme haben sollen, die zählt –, das ist es, was die Leute mit Gewehren oder Bankkonten nicht fassen, was sie sogar ihr Geld verstreuen läßt, um diese vielen elenden Stimmen einfach zu kaufen.«
Der frühere Priester drohte jetzt von dem Schemel zu stürzen, er hustete und schwankte. Grau im Gesicht, mit Schaumflocken auf den Lippen, sah er über die dunkle Masse der Köpfe, ließ den Blick weiterwandern, über Männer, die vor ihren Hütten standen, verstört, wie aus dem Schlaf Gerissene, und ließ ihn dann ruhen auf Kurt Lukas. »Ich liebe einen Menschen, der dich liebt«, rief er ihm hustend und auf deutsch zu, »aber auf eine besondere Weise liebt dieser Mensch auch
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