Infanta (German Edition)
Ferdinand Zeichen, das Gerät aufzudrehen, das die neuartigen Geräusche erzeugte. Die Sängerin hatte sich zu der teuren und, wie der japanische Händler nicht müde geworden war zu betonen, das Jahrtausend überdauernden Anschaffung entschlossen, da sie ihre Stimme nicht länger mit dem Übertönen der Musikbox strapazieren wollte; manche Leute hatten auch schon behauptet, sie bewege nur noch die Lippen. Dieses Gerede und ihre Lust am Fortschritt hatten den Ausschlag gegeben, eine glitzernde Rhythmusmaschine zu erwerben, welche, wie der Händler versichert hatte, auch den blutigsten Anfänger in jeder Tonlage unterstützen und, was noch wichtiger sei, vollkommen mit Rhythmus zudecken könne. In dieser Hinsicht bewährte sich die Neuerwerbung gerade – der Novize war verstummt.
Er stand auf der Bühne und wartete ab. Es dauerte nur Minuten, bis alle Lichter der Maschine wieder erloschen: Ferdinand war noch nicht Herr ihrer komplizierten Verkabelung und ganzer Batterien von Knöpfchen und Schaltern. Die schwarze Sängerin drohte ihrem Lakai eine Abreibung an, und Augustin nutzte das Durcheinander. Er trat an den Bühnenrand, schloß die Augen und sang, weil es ihm lag und weil Montag war, das alte Monday Monday. Er sang es, als schwärme er für ein Mädchen, das Montag hieß, sang es mit entspanntem Gesicht, als schlafe er stehend, und bot ein Bild, wie man es nie zuvor gesehen hatte in der Bude. Da stand nicht einer von der Sorte, die ihre Augen zusammenkniffen beim Singen, die sich dem Publikum schmerzverzerrt darboten und am Ende mit wirren Haaren abtraten; da sang jemand, das war alles. Doña Elvira vergaß darüber, daß der Novize der Novize war (Ferdinand hatte ihn verraten), also eine Art Jungfrau, für die der Minderjährigenschutz galt, sie vergaß die glitzernde Rhythmusmaschine, ihren Ruf, ihr Geschäft und sich selbst. Sie hörte nur zu. Mit seiner ungebremsten Begabung gelang es Augustin, aus dem Ende von Monday Monday mühelos den Beginn von Wach auf mein Herz und suche Freud hervorzuzaubern, wiederum nicht ahnend, daß genau diese Abwechslung zwischen Weltlichem und Geistlichem, die ihm nur logisch und menschengerecht erschien, die Weichen für seine Heimreise und damit sein weiteres Leben stellte. Als er schließlich zum Schlager zurückgekehrt war, sich gerade Ton um Ton auf das berühmte Sweet Caroline zubewegte, sich in Spiralen emporschwang wie ein Verliebter vor dem Geständnis und es endlich so jubilierend herausbrachte, als wolle er sich und die ganze Welt damit erlösen, spürte er eine Hand am Bein; gleichzeitig schaffte Ferdinand den Durchbruch und bediente die neue Maschine, als ließen sich mit den Knöpfen und Schaltern Kriege entfesseln.
»Butterworth schickt mich!« brüllte Kurt Lukas durch das Rollen und Stampfen. »Man hört dich bis zur Station, im ganzen Ort, überall – du mögest die Bude sofort verlassen, soll ich dir ausrichten!«
Und Augustin verstummte ein zweites Mal, nun aber von innen. Sein Gaumen wurde trocken, seine Zunge wurde steif, Scham und Ohnmacht standen ihm im Gesicht. Er schüttelte sein nasses Haar aus, verbeugte sich vor Doña Elvira, machte eine segnende Gebärde, die Ben Knappsack galt, und folgte.
»Du hättest da niemals hingehen dürfen«, sagte Kurt Lukas, als sie durch das nächtliche Dampfbad liefen. »Aber ohne Gesang sterbe ich«, erwiderte Augustin.
»Hier sind deine Tage ohnehin schon gezählt.«
»Dann müssen wir vorher noch ringen.«
»Ich werde nicht mit dir ringen.«
»Aber reden.«
»Worüber?«
»Über Mayla.«
»Wozu«, sagte Kurt Lukas.
Der Novize blieb stehen, seltsam lächelnd wie ein Langstreckenläufer nach verpaßtem Sieg. Ein Schimmer lag auf seinem Gesicht; Gussmanns Ladenlicht beschien den Weg vor ihnen. »Wozu? Weil du wissen möchtest, ob sie dich liebt.«
»Sie wird es dir kaum verraten haben.«
»Sie hat es mir auch nicht verraten«, sagte Augustin. »Aber ich hörte, wie sie mit Father Pacquin sprach.«
Kurt Lukas setzte sich auf den warmen Boden. Er konnte nicht mehr. Sie hatten den Pfad zur Station verfehlt. Wie betrunken vor Hitze, waren sie dann einfach Lichtern und einem Stimmengewirr entgegengelaufen; nicht weit von Gussmanns Laden sammelten sich Menschen. »Also erzähl schon«, sagte er.
Der Novize setzte sich neben ihn, und sogleich sprudelte es aus ihm heraus. Er sei am Eßtisch gesessen, allein, und habe die Intervalle der Kühlschrankerschütterung notiert, da seien in der Küche plötzlich
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