Infanta (German Edition)
sie es einem der Medizinstudenten anvertrauten, die sonntags von der Küste anreisten. Wilhelm Gussmann war als Kampfhahndoktor seit langem konkurrenzlos. Vor über dreißig Jahren hatte er beim Anblick der todgeweihten Hähne in den Armen gebrochener Männer die Idee gehabt, seine Kenntnisse aus mehreren Praktika anzuwenden, um zu retten, was zu retten war. Nachdem er an verendeten Tieren geübt hatte, war es ihm schließlich gelungen, Leidenschaft und Priesteramt zu verbinden. Er war den Besitzern unterlegener Hähne in ihre Hütten gefolgt und hatte die Blessierten dort heimlich und gegen das Versprechen einer Taufe behandelt. Öffentlich umgesetzt hatte er seine Idee erst nach dem Bruch mit der Kirche; seitdem galt er als Kapazität. Selbst Verletzungen in der Herzgegend operierte er mit Erfolg; die Opfer konnten schon zwei Monate nach ihrer Niederlage wieder in den Ring geschickt werden. Man brauchte ihn und sein Händchen, und er brauchte die wöchentlichen Siege unter dem Vordach der Kampfbahn.
Doch dieser erste Sonntag im Februar sollte der letzte an dem geliebten Ort sein. Es war Zeit zum Gehen. Er wollte aufhören, bevor ihm ein rettbares Tier, nach einem Augenblick der Schwäche, unter den Fingern verblutete. Außerdem sähe es wie ein Verleugnen aus, wenn er bis zu seinem Tod operierte – Wilhelm Gussmann rechnete jetzt fest mit Mitte März. Er würde sterben, da es keinen Grund gab weiterzuleben. Der Mensch, den er liebte, war endgültig unerreichbar. Mayla war für ihn verloren; und eine Sehnsucht ohne Hoffnungsfunken hat ausgedient. Über seinen Abschied an diesem Tag hatte er mit keinem gesprochen. Er arbeitete in gewohnter Weise, unbeirrt und aufrecht.
Gussmann hatte immer im Stehen operiert; Zange, Schere, Nadeln und ein Rasiermesser, das war sein ganzes Besteck. Dazu kamen die Kanne mit dem Desinfektionsmittel und verschiedene Lappen und Läppchen. Manchmal hatte er vier Tiere bis zum Abend gerettet und damit mehr verdient als die Woche über mit seinem Heftchenverleih. Die Studenten machten es billiger, doch unter ihren Händen schlugen die Verletzten oft erbittert mit den Flügeln. Bei ihm dagegen lagen sie ruhig mit starrem, glasigem Blick; nur daß sie von Zeit zu Zeit kackten oder einen heiseren Laut von sich gaben. War die Arbeit getan, wurde der frühere Priester gefeiert. Nach Ende der Kämpfe traf man sich bei kaltem Bier und den saftigen Schenkeln derer, denen nicht mehr zu helfen gewesen war. Reiche Sonntage.
Er kappte den Faden und drückte das Gedärm schonend in die natürliche Lage zurück. »Gleich haben wir es«, murmelte er auf deutsch, durchstach die feste Oberhaut und machte Knoten wie für die Ewigkeit. Wilhelm Gussmann übergab den geretteten Hahn, nahm sein Honorar in Empfang, und schon lag ein neuer Verlierer auf dem gefiederten Tisch.
Ein schwerer Fall, aber nicht hoffnungslos. Er bedeckte den Kopf seines unwiderruflich letzten Patienten – diese Entscheidung hatte er soeben getroffen – mit einem feuchten Tuch; so ließ sich der Schock etwas mildern. Das Tier war schon zur Hälfte gerupft, über die ganze Brust klaffte ein Riß, die Zuschauer sahen ein zuckendes Herz. Der frühere Priester lächelte dem Besitzer zu, fest entschlossen, seine Retterlaufbahn siegreich zu beenden. Auch allen Neugierigen zeigte er ein beruhigendes Lächeln, das plötzlich einen Zug ins Gegenteil bekam; aus den Umstehenden ragte einer heraus, trotz Sonnenbrand blaß um die Nase. Maylas Geliebter, fassungslos.
Gussmann sah ihn an. Da stand tatsächlich dieser Mensch aus Deutschland mit dem unverschämtesten aller Gottesgeschenke, einem guten Gesicht, idealer Verteilung von Haut und Knochen, Fleisch und Knorpeln, Härchen und Pigmenten. Alles war da angelegt, nichts als Natur, und schien doch erkämpft, also vom Leben gezeichnet, vollkommen echt; der Mann, den Mayla liebte, gefiel ihm, das war das Schlimmste. Und aus keinem anderen Grund wollte er diesem Mister Kurt, wie der halbe Ort ihn schon nannte, diesem Kurt Lukas, der durch eine Reihe unbegreiflicher Glücksfälle erreicht hatte, was ihm verwehrt geblieben war, nichts ersparen, nicht einmal Blut. Wilhelm Gussmann besah sich die Wunde und rätselte, wie jemand zu dem einzigartigen Privileg kam, Mayla da zu berühren, wo er wollte, und von ihr dort berührt zu werden, wo es ihm am angenehmsten war. So jemand langte wohl einfach zu; wahrscheinlich durfte man nicht wirklich lieben. Kein Mann erschließt sich eine Frau allein mit dem
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