Infanta (German Edition)
Herzen – und er begann sich zu fragen, ob er Mayla überhaupt kannte. Ob dieses elternlose Mädchen nicht vielleicht in einer Bar geendet wäre, wenn er sich nicht gekümmert hätte. Warum kam sie einem anderen so entgegen. Warum hielt seine Liebe sie nicht davon ab. Warum tat Mayla ihm weh – warum ist sie so dumm, dachte er und machte eine Handbewegung, mit der er sonst Fliegen von den Wunden vertrieb.
Er konnte nichts anderes als Mayla herabsetzen. An das Gegenteil von allem, was sie ihm bedeutete, mußte er denken. Eigensüchtig war sie und falsch, von erpresserischer Zartheit, nicht wert, daß er sie verehrte. Gussmann wollte mit dem Blutstillen beginnen, doch nun sprach er sogar in Gedanken zu Mayla, sagte ihr, sie raube ihm noch den Verstand, bringe ihn soweit, seine Liebe niederzukämpfen. Das Beste in mir stampfe ich ein, warf er ihr vor, was bleibt, ist das feuchte fette Schwarz deines Haars . . . Erst als der Hahn die Flügel verdrehte, kam Wilhelm Gussmann wieder zu sich. Er strich sich den Schweiß von der Stirn und winkte den Rivalen heran. »Erfreulich, daß du hergefunden hast«, rief er. »Denn das hier ist mein letzter Fall, was ich dir nur in einer Sprache mitteilen kann, die außer uns beiden keiner versteht. Man würde mich sonst beknien, und wer hat das schon gern.« Er stillte das Blut und spreizte den Riß und wählte eine Nadel für die innere Verletzung.
»So etwas Grausames«, sagte Kurt Lukas nach einer Weile, »habe ich noch nie gesehen.«
Der frühere Priester nähte jetzt zügig. »Was denkst du, wie viele Männer sich erhängt hätten, wäre nicht ihr Hahn auf diesem Tisch gerettet worden« – er schaute auf und lächelte ergeben –; »wie war mein Konjunktiv? Ich bin aus der Übung. Du aber auch; blaß siehst du aus. Jedenfalls nicht so wie auf der Anzeige in Newsweek. Sehr überzeugend, wie du da in der Bar sitzt und gerade einen Einfall hast. Und wie nennt man diesen Beruf, Kleindarsteller?«
Kurt Lukas faltete die Hände im Nacken.
»Modell«, sagte er.
»Also doch Kleindarsteller.«
Gussmann wechselte Nadel und Faden. Auf einmal hielt er inne und holte tief Luft. »Und einem Kleindarsteller laufen natürlich die kleinen Mädchen nach. Und er kann regelmäßig vögeln, sagt man noch so? Wir sagten damals immer vögeln. Wie sagt man heute in Deutschland?«
Kurt Lukas kam näher. Er nannte den Ausdruck. »Soo sagt man? Aha. Klingt etwas ungut, was? Nach einem Zugunglück. Und auf diese Weise hast du es mit Mayla getan, du mußt mich nicht schonen. Ich lebe nicht mehr lang, das erzählte ich wohl schon. Im März ist Schluß. Vermutlich am fünfzehnten, ein Donnerstag. Ich hasse Donnerstage; also hoffe ich, vor Morgengrauen.« Gussmann besprengte die Wunde aus seinem Desinfektionskännchen. »Aber sprechen wir lieber von dieser Anzeige. Zuerst dachte ich, das Foto sei in New York entstanden in einem Studio. Bis ich hörte, es sei am Originalschauplatz gemacht worden. Interessant. Wo doch heutzutage jede Form von Kunst aus New York kommt – heißt es.« Er zog die Haut über dem Riß zusammen und wiegte den Kopf. »Weshalb eigentlich immer New York? Es gibt ja nichts Blöderes als diese Stadt. Selbst in der ärgsten Regenzeit war New York auf der Station kein Thema. Horgan und ich haben nie ein Wort über New York verloren. Wie geht es ihm, haucht er noch? Er kann auch anders, wenn er will. Ich mochte Horgan. Die anderen mochte ich auch, aber wir hatten Differenzen. Sie verboten sich alles, ich erlaubte mir manches. Nur habe ich zu keinem Zeitpunkt geschrieben. Die wahren Sünder schreiben. McEllis, auch wenn er es bestreitet, er schreibt. Gibt es als Wetternotiz aus und schreibt. Dann Butterworth, ich kenne ihn, vermutlich sogar Prosa, man weiß das bei ihm nie. Und über New York. Alle Dilettanten schreiben über New York.« Wilhelm Gussmann machte seine Knoten und biß den Faden durch. »Es müßte eigentlich eine Stadt nach deinem Geschmack sein, groß, glitzernd, schnell. Mit anspruchslosem Straßennetz.«
Kurt Lukas trat an das Tischchen. »Ich mache mir nichts aus Amerika.«
»Weil du an Deutschland hängst. Ohne es zu wissen, nehme ich an; anders sollte man an dem Land auch nicht hängen. Reden wir also über die Heimat. Um nicht über Mayla zu reden.« Der Hahn sperrte den Schnabel auf und begann im Liegen zu laufen. Gussmann besänftigte ihn. Er streichelte den Kamm und ließ sich in den Daumen beißen; über der Halsader war noch ein Loch zu nähen.
»Wo
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