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Infanta (German Edition)

Infanta (German Edition)

Titel: Infanta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bodo Kirchhoff
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aufgeklappt, damit jeder Vorbeigehende den Stationsgast sehe. Die Lesebänke waren leer; in einer Ecke des Ladens saß Wilhelm Gussmann auf seinem Rednerschemel und schlief.
    Geld, sagte Mayla, ob er viel Geld bekommen habe für das Bild. Er hatte den Betrag nicht parat. »Sicher wie immer. Also ordentlich. Singapore ist ja reich. Übrigens vollkommen öde.« Sie traten in den Ladeneingang. Gussmann schnarchte, nicht unangenehm, mehr ein Schnurren. »Und dabei führt er Newsweek gar nicht«, flüsterte Mayla. »Ich kam hier gestern vorbei und sah dich. Dich und die Frau auf dem Bild.« Sie strich über die Hefte. »Das war es, was er wollte«, sagte Kurt Lukas. »Weshalb gehst du nicht zu ihm? Er sieht einsam aus auf seinem Schemel.«
    Mayla kämmte sich.
    »Einsam? Warum?«
    »Warum – wenn bei uns jemand so dasitzt, ein alter Mensch, ungepflegt, zusammengesunken, würde jeder sagen, Gott, wie einsam.«
    »Gott, wie einsam« – Mayla lachte –, »ich werde einsam sein, wenn du fort bist« – sie schob den Kamm in die Hose –, »du hast telefoniert. Du willst weg.«
    »Und du wirst Sekretärin des Bischofs.«
    »Man bot mir die Stelle an, ich habe sie genommen. Es ist eine Arbeit, mit der ich Geld verdiene. Die Frau des Bruders meiner Mutter hat eine Schwester, die krank ist, sie braucht ein Medikament, es kostet hundert Pesos.«
    Kurt Lukas hob einen Finger. »Du kannst tausend Pesos bekommen. Jeden Betrag.« Mayla erwiderte nichts. Sie öff nete ihre Hand.
    »Ich müßte es holen«, sagte er, »auf einer Bank.«
    »Dann nimm den nächsten Bus.« Sie strich ihm über die langen Brauen, als nehme sie Abschied von seinem Gesicht. »Und vielleicht solltest du nicht wiederkommen, es könnte Krieg geben. Also nimm den Bus.«
    »Ich hätte nicht einmal Fahrgeld.«
    Mayla griff in ihre Tasche. Sie kramte Scheine und Münzen hervor, sie zählte. Sechsundzwanzig Pesos. Das reiche bis Cagayan. Dort gebe es Banken. Sie drückte ihm das Geld in die Hand, schloß seine Finger darum, nahm sich eine Zigarette und ging auf Zehenspitzen zu Wilhelm Gussmann.
    Dieser kleine, kränkende Gang fand auf dem Höhepunkt der Tageshitze statt, gegen halb zwei. Ganz Infanta schien zu schlafen. Nur von sieben Bewohnern des Ortes ließ sich mit Sicherheit behaupten, sie seien wach. Kurt Lukas, er war auf dem Weg zur Station. Mayla, sie strich über Gussmanns Haar. McEllis, Butterworth, Dalla Rosa und Pacquin, sie spekulierten auf der Terrasse über Gregorios Rückkehr. Und Horgan. Er war der Wachste.
    Der kranke Priester mochte diese Zeit der äußersten Hitze. Er probte dann immer sein Sterben, jedesmal mit gutem Ausgang. »Wir werden uns schon wiedersehen«, hatte er Augustin im Laufe des Abschiedsgesprächs versichert und ihm später sogar nachgewunken mit dem Newsweek-Heft, in das er immer noch schaute. Und dabei konnte er Magazine nicht ausstehen. Das ewige Umblättern, die vielen Anzeigen; das viele Umblättern ohne die Belohnung durch einen neuen Artikel. Und immer dieselben Namen, die dummen Wiederholungen. Natürlich hatte er den Beitrag über die Insel gelesen. Und Mister Kurt noch einmal betrachtet. Wirklich ein ansprechender Mann. Viel ansprechender als die richtigen Schriftsteller mit ihrer Zerknirschtheit. Und ohne jeden Dandy-Anstrich; keine Zigarettenspitze, keine Blässe, keine Nervosität, nicht einmal Augengläser. Ein Mann, ein Block, ein Stift – und am Rande eine Muse. Horgan war sich keineswegs schlüssig, ob er sich an diesem Bild erfreuen oder es unanständig finden sollte. Im Grunde bedauerte er den Gast, weil er nicht erfüllen konnte, was er versprach, so wie er Augustin bedauerte, daß er nicht singen durfte, was ihm gefiel, und sich selbst, weil er nun ohne Unterhaltung dasaß. Dem consilium abeundi hatte er als einziger widersprochen. Durch Stimmenthaltung.
    Horgan blätterte. Weshalb mußten die Sportseiten immer hinten sein. Er suchte Trost in einem Beitrag über Tennis, aber da kamen nur diese Buchbesprechungen. Seine Gedanken wanderten; seit ihn das Alter im Griff hatte, gab es für Horgan eine Lieblingsüberlegung. Wieder einmal dachte er über einen weichen Weg nach, Wimbledon zu gewinnen. Nur drei Bälle, in höchster Vollkommenheit beherrscht, würden ihm reichen. Ein vollkommener Stop, ein vollkommener Lop und ein sanfter, aber haargenauer Aufschlag. Das alles in langen Hosen, versteht sich. Horgan sah an sich herunter. Er fragte sich, wo seine lange weiße Hose war. Nicht einmal Augustin hatte die

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